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"BNE ist der zentrale Schlüssel für eine zukunftsfähige Welt"

Alexander Siegmund | Prof. Dr. Alexander Siegmund lehrt Physische Geographie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und ist in vielen Funktionen im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) aktiv. Im Interview gibt er Einblicke in seine unterschiedlichen Aufgaben und Ämter und erläutert die Wichtigkeit von Netzwerken, um Lösungsansätze zur Förderung von BNE anzustoßen.

Alexander Siegmund schaut lächelnd in die Kamera, daneben das Zitat von ihm: "Die Zusammenarbeit in Netzwerken ist zentraler Wesenskern eines BNE- und Nachhaltigkeitsdiskurses."
© Abt. Geographie - rgeo / Pädagogische Hochschule Heidelberg

Was bedeutet BNE für Sie?

Nachhaltigkeit ist das Ziel, eine nachhaltige Entwicklung der Weg – und Bildung für nachhaltige Entwicklung der zentrale Schlüssel für eine zukunftsfähige Welt. Durch BNE gilt es dabei, notwendiges Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzenten zu entwickeln, um die vielfältigen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zur Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele (Anm. d. Red.: SDGs; 17 globale Nachhaltigkeitsziele wurden 2015 von den Vereinten Nationen in der Agenda 2030 definiert) auf lokaler und regionaler Ebene bewältigen zu können.

Bildung beschränkt sich dabei nicht nur auf den schulischen Bereich, vielmehr muss sich eine Bildung für nachhaltige Entwicklung im Sinne eines lebenslangen Lernens auf alle Bildungsbereiche beziehen – von der frühkindlichen Bildung, über die Schule und Hochschule bis zur beruflichen Aus- und Weiterbildung hin in die Kommunen und die unterschiedlichen Formen der nonformalen und informellen Bildung.

BNE-Forum Hochschule

Gibt es jemanden, der Sie zu Ihrem Engagement für BNE inspiriert hat?

Als Geograph ist mir ein systemisches Denken und der mehrperspektivische Blick auf Fragestellungen zum Verhältnis von Mensch und Umwelt – vom lokalen Maßstab bis zur globalen Ebene – in die Wiege gelegt. Aufgewachsen auf dem Land zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb mit einer vielgestaltigen Natur- und Kulturlandschaft, ihren differenzierten Strukturen und Prozessen, war dies sicherlich ein wichtiger Ausgangspunkt, sich intuitiv mit Fragen einer nachhaltigen Entwicklung zum Erhalt von schützenswerten Räumen zu beschäftigen. In verschiedenen Projekten während und nach dem Studium als Wissenschaftler, habe ich diese Erfahrungen in unterschiedlichen Regionen weltweit anwenden und weiterentwickeln können – ob zu Fragen des Malariarisikos in Afrika, zu Nebelökosystemen in der Atacama-Wüste oder im Kontext der Erforschung und Vermittlung von Folgen des regionalen Klimawandels. Es waren wohl also weniger bestimmte Menschen als die vielfältigen geographischen Fragestellungen, die den auch für BNE zentralen inter- und transdisziplinären Blick auf Fragestellungen geschult haben.

Alexander Siegmund hält einen kleinen Globus zwischen den Zeigefingern seiner beiden Hände und schaut lächelnd in die Kamera.

"Bildung für nachhaltige Entwicklung muss sich im Sinne eines lebenslangen Lernens auf alle Bildungsbereiche beziehen."

QuelleZitat Prof. Dr. Alexander Siegmund © Bild: Abt. Geographie - rgeo / Pädagogische Hochschule Heidelberg

Über Prof. Dr. Alexander Siegmund:

Prof. Dr. Alexander Siegmund studierte Geographie, Betriebswirtschaftslehre und Pädagogik (Wirtschaftspädagogik) an der Universität Mannheim. Nach der Promotion zum Dr. rer. nat. 1997 erwarb er das 2. Staatsexamen im beruflichen Schulwesen und war einige Jahre als Lehrer tätig. 2002 wurde er auf eine Professur für Geographie und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe berufen, seit 2004 ist er Professor für Physische Geographie und deren Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Er ist zudem seit 2006 Honorarprofessor am Geographischen Institut der Universität Heidelberg sowie Gründungs- und langjähriges Vorstandsmitglied des dortigen Heidelberg Center for the Environment (HCE). Seit Oktober 2022 ist er Prorektor für Forschung, Nachhaltigkeit und Digitalisierung der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Prof. Siegmund ist Inhaber des "UNESCO Chair on Observation and Education of World Heritage and Biosphere Reserve", Geschäftsführender Direktor des Heidelberger Zentrums für Bildung für nachhaltige Entwicklung, Vorsitzender des Forums Hochschule im Rahmen der Nationalen Plattform BNE und Sprecher des BNE-Hochschulnetzwerks Baden-Württemberg.

Heute sind Sie selbst durch Ihr Engagement eine Vorbildfigur. Wie fühlt sich das an?

Ich weiß nicht, ob und in welchem Maße ich als Vorbildfigur für andere fungiere – wenn dem so ist, so das Interesse und die Motivation von Menschen zu befördern, sich für Fragen einer nachhaltigen Entwicklung und BNE einzusetzen, freut mich das natürlich sehr. In erster Linie geht es mir aber darum, die Dinge, auf die ich selbst Einfluss habe und die ich durch meine unterschiedlichen Aufgaben, Funktionen und Ämter selbst mitgestalten kann, konsequent in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Als Professor versuche ich dies natürlich bei und mit meinen Studierenden umzusetzen, als Geschäftsführender Direktor des Heidelberger BNE-Zentrums und Prorektor für Forschung, Nachhaltigkeit und Digitalisierung auch hochschulweit in allen Feldern einer nachhaltigen Hochschule. Unser Ziel: Eine Pädagogische Hochschule für nachhaltige Entwicklung 2030 als Modell für die integrative Verknüpfung von Bildung und nachhaltiger Entwicklung in Forschung, Lehre, Transfer, Betrieb und Governance umzusetzen. Als Vorsitzender des Forums Hochschule versuche ich meinen Beitrag zu leisten, BNE auch weiter voranzubringen und weiterzuentwickeln. Dabei andere "mitzunehmen" ist zentral – für die eigene Motivation ebenso wie für den Erfolg des Ganzen.

Stärkere Verankerung von nachhaltiger Entwicklung in der Bildung

Ist Netzwerken für nachhaltige Arbeit wichtig und wie gelingt es Ihrer Meinung nach?

Der Austausch mit anderen zu Fragen, Herausforderungen und guten Lösungsansätzen zur Förderung von BNE und nachhaltiger Entwicklung ist aus meiner Sicht ganz entscheidend für den gemeinsamen Erfolg – nur im "stillen Kämmerchen" vor sich hin zu brüten, führt hier nicht all zu weit. Erst durch den Austausch in Netzwerken, mit Kolleginnen und Kollegen mit unterschiedlicher fachlicher Expertise und Erfahrung lassen sich genau die inter- und transdisziplinären Perspektiven diskutieren die notwendig sind, um daraus gemeinsame Konzepte und Ideen zur Förderung gelungener BNE zu entwickeln – die Zusammenarbeit in Netzwerken ist sozusagen zentraler Wesenskern des BNE- und Nachhaltigkeitsdiskurses. Dabei gilt es, Fragen der Bildung immer auch mit inhaltlichen Fragen einer nachhaltigen Entwicklung zusammen zu denken. BNE ohne Inhalt ist wie "Stricken ohne Wolle" und bleibt dann oft konzeptionell und theoretisch. Netzwerken gelingt aus meiner Sicht sehr gut – auf der lokalen Ebene, wie in meinem Fall dem Heidelberger BNE-Netzwerk, der Kommune, dem BNE-Hochschulnetzwerk Baden-Württemberg, dessen Sprecher ich bin, bis hin zum Forum Hochschule und der Nationalen Plattform BNE. Wichtig ist aus meiner Sicht nur, dass wir uns hier nicht nur in unseren eigenen "Blasen" bewegen, sondern bewusst den Kontakt und Austausch auch zu anderen Netzwerken außerhalb von BNE suchen, ebenso, wie dass wir regelmäßig auch neue Akteurinnen und Akteure in unsere Netzwerke aktiv mit aufnehmen. So entstehen neue Inspirationen, neue Ideen und Lösungsansätze.

Petrolfarbener Handabdruck auf gelbem Hintergrund.

"Die Zusammenarbeit in Netzwerken ist ein zentraler Wesenskern des BNE- und Nachhaltigkeitsdiskurses."

 

QuelleZitat Prof. Dr. Alexander Siegmund © Bild: BMBF

Was sind Ihre nächsten Projekte oder worauf legen Sie in nächster Zeit Ihren Fokus?

Die Zahl der geplanten Projekte in Sachen BNE sind vielfältig: An meinem UNESCO-Lehrstuhl für Erdbeobachtung und Geokommunikation der Abteilung Geographie und des Heidelberger BNE-Zentrums wollen wir insbesondere die BNE-Weiterbildungsangebote des Projekts "Nachhaltigkeit lehren lernen" auf ein nächstes Level heben und zukünftig in einem Train-the-Trainer-Ansatz Schulungen für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an Hochschuldidaktik-Zentren durchführen. Zudem soll unsere adaptive E-Learning-Plattform "Zukunft lernen" zur Weiterbildung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren weiterentwickelt und neben Lehrkräften und Hochschullehrenden auch spezielle Angebote für weitere Bildungsbereiche bieten. An der Pädagogischen Hochschule Heidelberg bieten wir ab dem kommenden Wintersemester 2023/24 einen neuen Master-Studiengang "Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung" an, bei dem Studierende moderne Formen und Formate der Vermittlung von nachhaltigkeitsrelevanten Themen an unterschiedliche Zielgruppen erlernen sollen – von der klassischen Videoproduktion, über E-Learning bis AR- und VR-Anwendungen. Die Vorbereitungen dazu laufen auf Hochtouren. Und auf Bundesebene geht es darum, im Rahmen des Forums Hochschule, BNE noch besser in den Hochschulen zu verankern. Dazu soll u. a. eine Studie zu hemmenden und fördernden Faktoren durchgeführt werden, bei der wir auch eng mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zusammenarbeiten wollen. Und auch auf internationaler Ebene gilt es, Fragen zu BNE weiter voranzubringen, zum einen im Rahmen des UNESCO-UniTwin-Programms "Education for Sustainable Development and Social Transformation", an dem ich mit meinem UNESCO-Lehrstuhl beteiligt bin, zum anderen im Rahmen des Clusters "Sustainability" der International Association of Universities (IAU). Es wird also kaum langweilig werden und bleibt spannend.

Monitoring: Formale Bildung in Zeiten von Krisen – die Rolle von Nachhaltigkeit in Schule, Ausbildung & Hochschule (PDF, 922KB, Datei ist barrierefrei/barrierearm)

Wie setzen Sie in Ihrem Alltag Nachhaltigkeit um?

Man sollte über Nachhaltigkeit natürlich nicht nur reden, man muss sie auch ein Stück weit (vor-)leben, um – für sich selbst und andere – authentisch zu sein. Allerdings darf und kann man für sich auch sicher nicht in Anspruch nehmen, unfehlbar zu sein und alles "richtig" zu machen. Auch bei kleinen Dingen kann man schon positive Beispiele und Impulse setzen: Ich nutze bei Fahrten zu Terminen auswärts bewusst kaum das Auto, sondern die Bahn und wenn, dann mein E-Auto. Und innerhalb von Deutschland und dem benachbarten Ausland verzichten wir bei uns an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg bewusst auf das Flugzeug und leisten ansonsten Ausgleichszahlungen wie etwa bei Exkursionen. Aber auch Lebensmittel werden bei mir in der Familie nur dann weggeschmissen, wenn sie wirklich verdorben sind, manches bauen wir selbst an und es muss auch nicht jedes Jahr mehrfach und mit dem Flieger in den Urlaub gehen. Aber alles das (zumeist) ohne Reue und das Gefühl etwas "geopfert" zu haben – meist "reist es sich besser mit leichtem Gepäck", wie es schon in dem Lied der Gruppe Silbermond heißt.

Was ist Ihrer Meinung nach die Stärke oder das Potenzial der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten BNE-Kampagne?

Das BMBF ist nicht nur ein Ministerium, sondern eine Institution, die sicherlich bundesweit Anerkennung genießt und wie kaum eine für die Förderung von Bildung und Forschung steht. Eine vom BMBF geförderte BNE-Kampagne schafft daher gewiss eine besondere Aufmerksamkeit auf das Thema, die über die föderalen Grenzen der Länder hinaus in ganz Deutschland wirkt.

Alexander Siegmund sitzt auf einem blau-schwarzen Stuhl mit der Aufschrift UNESCO Chair und lächelt sich zur rechten Seite drehend in die Kamera.

"Man braucht über Nachhaltigkeit nicht nur reden, man muss sie auch ein Stück weit (vor-)leben."

QuelleZitat Prof. Dr. Alexander Siegmund © Bild: Abt. Geographie - rgeo / Pädagogische Hochschule Heidelberg

Drei Dinge für die Zukunft:

Mein Tipp für andere

Auch kleine Dinge können einen Unterschied machen: Wenn jede und jeder in seinem Bereich dazu beiträgt, Bildungsangebote im Sinne von BNE umzusetzen oder andere dazu zu motivieren und zu befähigen, kommen wir zusammen voran. Und auch von vorübergehenden Rückschlägen oder Enttäuschungen sollte man sich nicht vom Weg abbringen lassen, zu einer nachhaltigeren Entwicklung beizutragen. Es geht um nicht mehr als unsere Zukunft und die derer, die nach uns kommen. Noch können wir die kommenden Veränderungen wie den Klimawandel, Biodiversitätsverlust und viele weitere, die im Kontext der anderen Sustainable Development Goals stehen, evolutionär mitgestalten, bevor sie unser Leben "revolutionär" ändern.

Meine Vision für 2030 und 2050

Es wäre sicher vermessen zu glauben, dass bis 2030 global alle Nachhaltigkeitsziele umgesetzt sind und zusätzlich Bildung für nachhaltige Entwicklung umfassend in allen Bildungsbereichen verankert ist. Dazu sind die damit verbundenen Herausforderungen, nötigen strukturellen Veränderungen und Transformationsprozesse zu komplex und umfangreich. Aber für 2030 wäre meine Vision, dass BNE zumindest in Deutschland eine allgemein anerkannte und sowohl politisch wie institutionell aktiv beförderte zentrale Grundlage aller Bildungsprozesse darstellt und in wesentlichen Bereichen bereits umgesetzt ist. Den Hochschulen kommt hier als Orte von Forschung, Lehre und Transfer in gesellschaftlicher Verantwortung eine besondere Vorbild- und Inkubatorfunktion auch für andere Bildungsbereiche zu. Jedenfalls möchten wir in Heidelberg nicht zuletzt durch die Umsetzung einer Pädagogischen Hochschule für nachhaltige Entwicklung 2030 als Modellhochschule mit dem Schwerpunkt auf der Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte und anderer Fachkräfte im Bildungskontext dazu unseren Beitrag leisten und (hoffentlich) auch andere dazu ermutigen, in die gleiche Richtung zu gehen. Und bis 2050 sollte sich, nicht nur national, sondern auch international, die Frage nach einer Umsetzung von BNE in unterschiedlichen Bildungsbereichen (hoffentlich) nicht mehr stellen, sondern die nötigen Transformationsprozesse soweit abgeschlossen sein – mission accomplished!

Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel

Als Physischer Geograph, deren Betrachtungen vor allem von natur- und umweltwissenschaftlichen Phänomenen, Strukturen und Prozessen im Raum ausgehen, liegen mir insbesondere SGD 13 "Maßnahmen zum Klimaschutz" sowie Fragen der Klimaanpassung aber auch SDG 15 "Leben an Land" am Herzen. Über allem steht aber natürlich auch SDG 4 "Qualitative Bildung", das auch die Bildung für nachhaltige Entwicklung umfasst – im aktuellen UNESCO-Programm "BNE 2030" aber zurecht nicht nur als ein Nachhaltigkeitsziel, sondern als DAS zentrale Ziel zur Erreichung aller globalen Nachhaltigkeitsziele proklamiert.