"Sport verbindet – diese Kraft wollen wir nutzen"
Holger Nikelis | Der Inklusionsaktivist Holger Nikelis berichtet im Interview davon, welche Verantwortung der Sport beim Thema Nachhaltigkeit übernehmen muss, warum er die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen so wichtig findet – und wie er heute andere Menschen, die einen ähnlichen Schicksalsschlag wie er verkraften mussten, motiviert, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Dabei spricht er auch von seinem ehemaligen Trainer Michael Meißner, ohne den er heute wohl nicht der engagierte Mensch wäre, der er ist.
Herr Nikelis, was sind die Ziele des Vereins "Sports for Future", den Sie mitinitiiert haben?
Der Verein ist ein Zusammenschluss von einzelnen Sportlerinnen und Sportlern, Sportvereinen, Verbänden, Fans und Förderern. Die Idee war es, die verbindende Kraft des Sports für den Klimaschutz zu nutzen. Milliarden von Menschen haben entweder aktiv oder als Fans mit Sport zu tun: ein riesengroßes Netzwerk – hierüber muss sich doch etwas erreichen lassen! Diese Kraft wollten wir auf nationaler Ebene nutzen. Zumal der Sport, vor allem der Profisport, auch eine große Verantwortung hat: Ich habe es selbst als Aktiver erlebt, was da etwa durch Reisen oder die Abfallproduktion an Ressourcen verbrannt werden, gerade bei Großereignissen. Hier wollen wir mit vielen kleinen einzelnen Initiativen, Projektförderung, Vermittlung von Know-how und vor allem mit der Vermittlung von Kooperationen zu einem neuen nachhaltigeren Bewusstsein beitragen.
Gleichzeitig setzen Sie sich mit der gemeinnützigen Organisation "sport grenzenlos" für Inklusion ein. Was bedeutet Inklusion für Sie?
Ganz einfach die gleichberechtigte, selbstverständliche Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu ermöglichen – und zwar für jede und jeden, ganz egal, wie man aussieht, welche Sprache man spricht oder ob man eine Behinderung hat und so weiter. Wir haben gemerkt, dass das Thema besonders gut bei Kindern und Jugendlichen aufgehoben ist, um diese in dieser sehr prägenden Lebensphase über das Thema aufzuklären und für die Problematik zu sensibilisieren. Deshalb setzen wir bewusst im Bildungsbereich an und arbeiten etwa mit Schulen zusammen. Die Arbeit mit den jungen Menschen ist so etwas wie der Kern von "sport grenzenlos": Wir setzen verschiedene Projekte und Maßnahmen um, um die Inklusion im Sport, aber letztlich überall in der Gesellschaft zu fördern.
Bildung für eine nachhaltige Entwicklung im Sport
Über Holger Nikelis:
Holger Nikelis, geboren 1978 in Köln, hat als Mitglied der Nationalmannschaft im Rollstuhl-Tischtennis so gut wie alle wichtigen Titel gewonnen – unter anderem zweimal die Paralympics, zwei Weltmeisterschaften sowie mehrfach Europa- und Deutsche Meisterschaften. 2012 rief er die gemeinnützige GmbH "sport grenzenlos" ins Leben, welche die Inklusion von Menschen mit und ohne Behinderung fördert. 2019 war er Mitinitiator des Vereins "Sports for Future e. V.", der sich für den Klimaschutz einsetzt. Heute organisiert der gelernte Fachinformatiker Sportveranstaltungen für Menschen mit und ohne Behinderung.
Gibt es jemanden, der Sie zu Ihrem großen Engagement inspiriert hat?
Ja, mein damaliger Trainer Michael Meißner. Er hat mich im Grunde meine gesamte Karriere als Tischtennisspieler begleitet – phasenweise haben wir uns beinahe täglich gesehen – und mich sehr geprägt. Wir haben uns nicht nur über den Sport, sondern auch alle möglichen anderen Themen ausgetauscht. Er ist von Haus aus Sportlehrer und hat auch mich dazu ermutigt, mich selbst in der Ausbildung angehender Sportlehrerinnen und -lehrer einzubringen. Durch ihn bin ich auch an die Deutsche Sporthochschule gekommen, wo ich den Studierenden meine Vision vermitteln konnte.
Heute sind Sie selbst durch Ihr Engagement, aber auch Ihren besonderen Lebensweg ein Vorbild für viele Menschen. Wie fühlt sich das an?
Durch den Sport habe ich viel gelernt, bin weltweit unterwegs gewesen. Und ich habe gemerkt, dass ich die Menschen mit meiner Geschichte, meiner Motivation erreichen kann. Zum Beispiel, wenn ich in Schulen war, um über Inklusion zu sprechen. Wenn ich da meine Goldmedaille gezeigt habe, war immer sofort Ruhe und die Kids haben total aufmerksam zugehört. Dieses Engagement habe ich dann im Laufe der Zeit ausgeweitet – weil ich merkte, dass ich bei den Leuten, mit denen ich rede, gedanklich etwas bewirken kann.
Sie sprechen nicht nur über Nachhaltigkeit und Inklusion mit anderen, sondern auch mit Menschen, die ein ähnliches persönliches Schicksal erlitten haben. Was sagen Sie denen?
Nach dem Unfall ging es bei mir erst einmal darum, im Leben wieder Fuß zu fassen. Die Motivation wiederzufinden, nach vorne zu blicken, mein Schicksal zu akzeptieren. Das ist vielleicht das Wichtigste: Sich klar zu werden, dass man an dem Umstand selbst nichts ändern, die eigene Zukunft aber aktiv gestalten kann. Das ist natürlich ein Prozess und geht nicht von heute auf morgen. Sehr motiviert haben mich dabei Menschen aus meinem persönlichen Umfeld. Aber auch solche mit einem ähnlichen Schicksal, die mit diesem aber schon seit 20 Jahren oder länger leben. Und die trotzdem ein glückliches Leben haben, Familien gegründet haben und so. Es ist ein bisschen wie Projektmanagement: Man muss den riesigen Berg, der sich vor einem auftürmt, in einzelne Baustellen aufteilen. Bei mir war es etwa zuerst die Reha, dann habe ich das Abitur gemacht und danach eine Ausbildung. Dann kam noch der Sport dazu, der wieder einiges in eine andere Richtung gelenkt hat. Jetzt bin ich selbst mehrmals im Monat in einer Reha-Klinik, um mit Menschen zu sprechen, die etwas Ähnliches erlebt haben wie ich. Ich versuche, sie zu motivieren, indem ich ihnen zeige: Ja, das Leben ist jetzt anders als vorher, aber es geht weiter. Natürlich ist jedes Schicksal anders. Deshalb gibt es auch keine Blaupause, keinen Plan, wie man damit klarkommt. Ich kann nur Perspektiven aufzeigen – was die- oder derjenige andere dann damit macht, liegt an ihr oder ihm.
Stichwort "Netzwerken": Warum ist das aus Ihrer Sicht so wichtig?
Sich mit Menschen auszutauschen, die ähnliche Gedanken und Visionen haben, ist immer gut! Das ist ja auch unser Grundgedanke bei "Sports for Future". Wenn viele Menschen zusammenkommen, die motiviert und engagiert sind, geht vieles leichter, weil sich da viele Synergien ergeben. Deshalb sollte jede und jeder, die oder der sich engagieren möchte, nach Netzwerken suchen, in die man gut reinpassen könnte.
Wie Bildung für nachhaltige Entwicklung kommunizieren? Das war das Netzwerktreffen 2022
Was sind Ihre nächsten großen Projekte?
Aktuell bereiten wir mit "sport grenzenlos" die Inklusionswochen ab März 2023 vor, in deren Rahmen es bundesweit Aktionstage an Schulen gibt – mit Workshops, Vorträgen oder Gesprächsrunden. Damit wollen wir die Jüngsten der Gesellschaft frühzeitig für das Thema Inklusion sensibilisieren und Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderung abbauen. Kinder sind schließlich die Entscheiderinnen und Entscheider von morgen, deshalb setzen wir auch mit den Inklusionswochen bei ihnen an. Wir hoffen, dass sie das Thema Inklusion später dann ganz selbstverständlich in ihre Aktivitäten und ihr Handeln übertragen.
Welches Potenzial hat Ihrer Meinung nach die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kampagne zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)?
Kampagnen von großen öffentlichen Institutionen helfen dabei, Menschen miteinander zu vernetzen, Dinge anzustoßen und in Bewegung zu setzen. Nur so können wirklich alle, die relevant sind, auch erreicht werden.
Drei Dinge für die Zukunft
Mein Tipp für andere
Etwas ganz Ähnliches, was ich den Menschen in der Reha sage: Fangt im Kleinen an. Niemand von uns kann allein dafür sorgen, dass sich die Dinge plötzlich schlagartig ändern. Aber man kann dazu beitragen, sogar ohne großen Aufwand. Ich habe mir zum Beispiel über mein Reiseverhalten Gedanken gemacht: Mit welchem Verkehrsmittel fahre ich zum Wettkampf? Was konsumiere ich dort? Aber auch zuhause: Wie viel Müll produzieren wir? Meine Partnerin etwa hat mir vorgerechnet, wie viel weniger Müll produziert wird, wenn wir für unsere Tochter waschbare Windeln nutzen – das machen wir jetzt.
Meine Vision für 2030 und 2050
Ich hoffe, dass die Nachhaltigkeitsziele bis zum Jahr 2030 viel stärker im Bildungswesen verankert sind. Wir müssen sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben. Wenn das passiert, können wir für das Jahr 2050 vielleicht sichtbare Ergebnisse erwarten. Wie die konkret aussehen sollen, kann ich gar nicht sagen – aber es müsste schon deutlich zu spüren sein, dass sich etwas verändert hat. Und hierfür können wir bis 2030 die Basis legen.
Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel
Letztendlich sind alle Ziele gleichwichtig. Angesichts der Weltlage scheint gerade die gewaltlose Lösung von Konflikten ein besonders drängendes Anliegen zu sein. Ich persönlich empfinde auch die Bekämpfung von wirtschaftlicher Ungleichheit und Hungersnöten als unglaublich wichtig – gerade jetzt, wo man erlebt, wie irgendwie alles miteinander zusammenhängt und welche globalen Auswirkungen lokale oder regionale Krisen haben. Nehmen wir den Krieg in der Ukraine, der letztlich die ganze Welt trifft. Da ist es besonders wichtig, sich über Ländergrenzen hinweg zusammenzuschließen und gemeinsam zu agieren.
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