"Gute Ausbildung ist wichtig für kreative Problemlösungen"
Dr. Julia Kleeberger | Die Social Entrepreneurin (auf Deutsch: innovative Sozialunternehmerin) Dr. Julia Kleeberger, Mitgründerin von "Junge Tüftler gGmbH", spricht im Interview über die Inspiration und Motivation, die sie in der Begeisterung und dem Engagement von Kindern und Jugendlichen findet. Sie spricht über ihren Einsatz in der digitalen und nachhaltigen Bildung und warum sie der Zukunft positiv entgegensieht.
Frau Dr. Kleeberger, wie kam es zu der Gründungsidee von "Junge Tüftler*innen"?
Früher war ich bei Volkswagen in der Konzernforschung tätig und kümmerte mich dort um die Frage nach der Gestaltung neuer Mobilitätssysteme. Dafür musste ich technische Möglichkeiten überprüfen. Das Wissen dazu habe ich mir auf diversen Konferenzen und Messen angelernt. Ich habe aber gemerkt, dass das Selbstlernen nicht immer so einfach ist und gewisse Barrieren hat. Als Franziska Schmid und ich später begannen mit Kindern und Jugendlichen zu tüfteln, war ich fasziniert davon, dass diese ohne Hemmnisse einfach loslegten. Ich war damals viel umgeben von Hightech (Anm. d. Red.: Spitzentechnologie), die niedrigschwellig vermittelt wurde. Da kam der Aha-Moment, dass jede und jeder das machen kann. Wir starteten mit einer kleinen Gruppe von Ehrenamtlichen, die gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen an technischen Konstrukten tüftelten. Das stieß auf eine riesige positive Resonanz bei den Kindern und Eltern. Uns war es aber wichtig, dass wir nicht nur die Kinder von finanziell gut situierten Eltern erreichen, sondern alle Gesellschaftsgruppen. Aus diesem Gedanken heraus gründeten wir die "Junge Tüftler gGmbH", für die wir verschiedene Partner mit ins Boot holten, die eine kostenlose Wissensvermittlung für Kinder ermöglichen.
Bitte stellen Sie kurz die Vision und Angebote der "Junge Tüftler gGmbH" vor – und insbesondere, inwiefern sie Bildung für nachhaltige Entwicklung mit Bildung in der digitalen Welt verbinden.
Wir möchten Kinder und Jugendliche sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Erlernen von digitalen Kompetenzen fördern, da unsere Welt stark digital geprägt ist. Ein kompetenter Umgang mit der Digitalität ist heutzutage ebenso wichtig wie Schreiben oder Rechnen lernen, um sich in dieser Welt ausdrücken zu können und ein partizipativer Teil zu sein. Dabei ist uns eine Verbindung zur Nachhaltigkeit sehr wichtig, wir bedenken stets die Frage: Wie soll eine Welt gestaltet sein, in der wir alle gut miteinander leben wollen? Zudem ist uns neben der kostenlosen Wissensvermittlung wichtig, die Neugier, den Spaß und die Begeisterung des Lernens zu fördern.
Die Vision von "Junge Tüftler*innen" ist es, alle Kinder zu befähigen, die Welt eigenständig gestalten zu können. In unserer Gesellschaft fehlt oft die Multiperspektivität: Warum wird zum Beispiel Informatik immer so mathematisch und technisch gedacht? Das führt in vielen Bereichen zur Eindimensionalität. Viele unserer technischen Geräte wurden von weißen Männern aus den Staaten erfunden. Diese Eindimensionalität schließt in unserer gesellschaftlichen Entwicklung so viele andere Möglichkeiten aus – daher möchten wir Kinder ermutigen, die Welt bunt zu denken. Dies entspricht auch den Gedanken der 17 SDGs (Anm. d. Red.: Sustainable Development Goals; 17 globale Nachhaltigkeitsziele wurden 2015 von den Vereinten Nationen [UN] in der Agenda 2030 definiert). Daher sprechen wir immer gerne von "Tech for Good" (Anm. d. Red.: Technisches für Gutes).
Wir verstehen uns als außerschulischer Lernort, der kompatibel mit den Unterrichtsplänen der Schule ist. Wir möchten ein Partner der Schule sein und verfolgen das ganzheitliche Bildungskonzept "Connected Learning“ (Anm. d. Red.: ein ganzheitliches Bildungskonzept, in dem davon ausgegangen wird, dass Lernen besonders effektiv ist, wenn es auf den Interessen der Lernenden aufbaut und mit dem Alltag der Lernenden verbunden [connected] wird). Dafür entwickeln wir zum Beispiel eigene Orte wie das "GoodLab" und befähigen auch andere öffentliche Einrichtungen. Uns ist es sehr wichtig, dass alle Kinder und Jugendliche einen Zugang zur Bildung und Selbstbefähigung haben.
Monitoring: Neue Ergebnisse zur Verankerung von Nachhaltigkeit und BNE in der Beruflichen Bildung
Über Dr. Julia Kleeberger:
Dr. Julia Kleeberger ist Mitgründerin und neben Franziska Schmid Geschäftsführende des gemeinnützigen Unternehmens "Junge Tüftler gGmbH" mit der "TüftelAkademie" sowie des Unternehmens "Form 21 GmbH". "Junge Tüftler*innen" möchte Kinder und Jugendliche befähigen, selbst die Welt zu gestalten, indem sie neue Lernerlebnisse kreieren, Zugänge zu digitalen Werkzeugen ermöglichen und an nachhaltigen Lösungen tüfteln. Ihr teils kostenloses Angebot richtet sich neben Kindern und Jugendlichen an Schulen, Pädagoginnen und Pädagogen, Bibliotheken sowie an Kooperationspartnerinnen und -partner. Die Schwesterfirma "Form 21 GmbH" fördert lebenslanges Lernen im Bereich Digitalisierung.
Gibt es einen Menschen, der Sie zu Ihrem sozialen und nachhaltigen Einsatz inspiriert hat?
Mich inspirieren viele Menschen, mit denen ich arbeite – ob es engagierte Lehrkräfte sind oder Kinder mit leuchtenden Augen, die vor kreativen Ideen sprühen. Es ist faszinierend, was alles entsteht, wenn man Kindern die richtigen Werkzeuge in die Hand gibt. Insbesondere möchte ich auch drei Mädchen erwähnen, die bei unserem Herbst-Camp "ReInvent your Kiez" (Anm. d. Red.: Erfinde deinen Kiez neu) im Jahr 2019 teilnahmen. Diese Mädchen waren damals zwischen 14 und 15 Jahre alt und wir stellten ihnen die Frage, was sie sich für ihren Kiez wünschen. Die Mädchen zogen sofort engagiert los und sprachen mit Anwohnerinnen und Anwohnern über deren Wünsche. Viele Menschen waren traurig, dass die Bäume austrocknen und wünschten sich mehr Grünflächen. Danach haben die Mädchen drei Tage lang an einem Roboter, der Pflanzen gießen kann, getüftelt. Es war faszinierend zu sehen, wie sie sich aufgrund eines nachhaltigen Zieles innerhalb kürzester Zeit Grundlagen von Robotik aneigneten. Ihre Begeisterung und ihr Engagement haben mich sehr inspiriert.
Wie ist es für Sie, heute ebenfalls ein Vorbild für andere zu sein?
Es freut mich total, wenn wir auch andere inspirieren. "Junge Tüftler*innen" wurde kürzlich auch mit dem Preis "Berlins Soziale Unternehmen 2022" ausgezeichnet. Es ist uns sehr wichtig, einen gesellschaftlichen Mehrwert zu bieten. Es ist ein schönes Gefühl, sich mit anderen Menschen gemeinsam auf den Weg zu machen und an nachhaltigen Lösungen zu tüfteln.
Ist Netzwerken für nachhaltige Arbeit wichtig und wie gelingt es Ihrer Meinung nach?
Netzwerken ist unerlässlich: Betrachtet man zum Beispiel die 17 SDGs (Anm. d. Red.: Sustainable Development Goals; 17 globale Nachhaltigkeitsziele wurden 2015 von den Vereinten Nationen [UN] in der Agenda 2030 definiert), da benötigt jedes Ziel ein großes Tiefenwissen. Wir arbeiten viel mit "Learning Experience Design" (Anm. d. Red.: erfahrungsbasiertes Lernen). Da geht es um intrinsische Motivation, um Selbermachen und darum, Spaß daran zu haben. Die Wissenschaft nennt dies auch "playful learning" (Anm. d. Red.: spielerisches Lernen/Anwenden). Bezüglich spielerischen Lernens hat sich "Junge Tüflter*innen" Tiefenwissen angeeignet, aber um dies bei den verschiedenen Handlungsfeldern anzuwenden, brauchen wir Vernetzung mit anderen Expertinnen und Experten. Der von uns gegründete MakerSpace (Anm. d. Red.: offene Werkstatt) "GoodLab“ ist so ein Raum, wo Austausch mit anderen stattfindet. Dort widmen wir uns intensiv der Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie digitaler Bildung. Hier wird zum Beispiel an neuen Möglichkeiten geforscht. Dafür arbeiten wir beispielsweise mit dem "Climate Change Center Berlin Brandenburg" der Technischen Universität Berlin zusammen. Auch bei dem "Quantenprojekt", das sich vor allem SDG 4 "Hochwertige Bildung" widmet, arbeiten wir unter anderem mit dem "Einstein Center Digital Future", mit Forschenden aus ganz Europa sowie mit Alltagsexpertinnen und Alltagsexperten sowie Schülerinnen und Schüler zusammen. Erfolgreiches Netzwerken ist, wenn Wissen gesammelt wird, um gemeinsam an kreativen Lösungen zu arbeiten.
Non-formales/informelles Lernen
Wie setzen Sie bei "Junge Tüflter*innen" Nachhaltigkeit um?
Wir versuchen bei "Junge Tüftler*innen" Nachhaltigkeit ganzheitlich umzusetzen, begonnen von nachhaltigem Versand im Büro bis zu Lebensmitteln aus der Region. Bei unserem "GoodLab" gestalten wir sowohl unsere Inhalte nachhaltig als auch die Materialien, die wir verwenden. Wir versuchen, alles wieder in die Kreislaufwirtschaft zurückzubringen, aber das ist natürlich auch noch ein Lernprozess. Dahingehend vernetzen wir uns viel mit anderen und sind offen für neue Impulse. Zudem nehmen wir an vielen Gesprächsrunden teil, um politische Handlungen anzuregen. Zum Beispiel haben wir viele Gespräche mit Lehrenden und möchten dazu anregen, demokratische Werkzeuge zu nutzen, um auf die Probleme aufmerksam zu machen und Lösungen zu finden.
Positionspapier Digitalisierung BNE
Und in Ihrem persönlichen Alltag?
Meine Töchter und ich motivieren uns gegenseitig zum nachhaltigeren Lebensstil. Dank einer meiner Töchter trinken wir nur noch pflanzliche Milch. Wir wiederum motivieren unsere Kinder, öffentliche Verkehrsmittel zur Schule zu nehmen. Es ist wichtig, das eigene Verhalten zu reflektieren und zu überlegen, wie wir besser werden können. Für mich ist es selbstverständlich, mit meinen Töchtern zu den Demonstrationen von "Friday for Future" zu gehen, damit sie sehen, dass auch ihre kleine Stimme politisch etwas bewirken kann. Denn um eine große Veränderung zu bewirken, braucht es politische Handlungen und das Mitwirken aller.
Gibt es neue Projekte, die Sie in Planung haben?
Unsere offene Werkstatt "GoodLab" zeigt uns, dass ein immenser Bedarf an sogenannten FabLabs oder MakerLabs (Anm. d. Red.: offene Werkstätten) besteht. Lernen funktioniert durch Kopf, Herz und Hand – und gerade die Hand kommt in unserem Bildungssystem oft zu kurz. Wir wollen die Schulen fördern, um MakerLabs zu errichten. Auch viele andere, die MakerLabs anbieten wollen, haben uns bereits um Rat gefragt. Ein weiteres wichtiges Feld, dem wir uns im Jahr 2023 intensiv widmen möchten, ist die Berufsorientierung. Neben der Vermittlung von handwerklichen Fähigkeiten und digitalen Kompetenzen ist auch wichtig, berufliche Orientierungshilfen zu bieten.
Was ist Ihrer Meinung nach die Stärke oder das Potenzial der vom BMBF geförderten Kampagne BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung)?
Die Stärke liegt im Sichtbarmachen: Ich merke es bei unserem GoodLab. Dort kommen manche Menschen zum ersten Mal mit der Bedeutung von BNE in Berührung. Ich finde es schön, dass die Kampagne Bildung für nachhaltige Entwicklung greifbar macht, indem sie Menschen zeigt und deren Geschichten teilt. Wenn wir unsere nachhaltigen Ziele erreichen wollen, müssen wir alle unser Handeln ändern. Allein wenn man auf die Treibhausgase blickt, müssen wir diese ums Zehnfache reduzieren. Und dieses Reduzieren müssen wir positiv aufladen, damit der Mehrwert für alle sichtbar wird.
Drei Dinge für die Zukunft
Mein Tipp für andere
Mein Tipp: Einfach machen! So haben wir damals auch angefangen, wir haben erste Tüfteleien bei Franzi (Anm. d. Red.: Franziska Schmid, Mitgründerin und eine der Geschäftsführenden von "Junge Tüftler*innen") in der Küche ausprobiert. Dieses transformative Lernen (Anm. d. Red.: Beim transformativen Lernen geht es nicht um ein Lernen im Sinne einer Erweiterung von Wissen oder Fähigkeiten, sondern um eine grundlegende Veränderung von Selbst- und Weltverständnis.) ist ein wichtiger Ansatz von "Junge Tüftler*innen" geworden: Nur in dem Moment, in dem ich es selbst tue und begreife, findet ein eigener Transformationsprozess statt. Wir arbeiten sehr viel mit Open-Source-Wissen (Anm. d. Red.: Wissen aus offenen Quellen) und tüfteln dann weiter daran. Die offene Lernkultur und das von- und miteinander Lernen ist uns sehr wichtig. Ich rate Menschen, die sich für nachhaltige Ziele einsetzen möchten, über den eigenen Tellerrand zu blicken, mit anderen zu sprechen, in verschiedene Felder hineinzusehen, sich inspirieren zu lassen – und dann einfach zu machen.
Meine Vision für 2030 und 2050
Meine Vision ist, dass wir den Klimawandel in den Griff bekommen und ich bin da positiv eingestellt. Für 2030 werden wir es vermutlich noch nicht schaffen, aber ich hoffe, dass wir bis 2050 einen Weg gefunden haben. Ich wünsche mir eine Zukunft, in der unsere Enkelinnen und Enkel auch noch erleben können, was Schnee ist und es nicht nur eine Erinnerung aus Büchern ist. Ich sehe beispielsweise den Weltnaturgipfel in Montreal als wichtigen Schritt dorthin. Dort hat sich die Staatengemeinschaft darauf geeinigt, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen. Dieses positive Zeichen lässt mich jeden Morgen engagiert aufstehen.
Für 2030 wünsche ich mir, neben dem Erreichen anderer Klimaziele, mehr Freiheiten im Bildungsangebot, damit die einzelnen Akteurinnen und Akteure freier arbeiten können. Ich betrachte den aktuellen Lehrkräftemangel sehr kritisch. Dies und die Coronapandemie sorgen für häufigere Perspektivlosigkeit – auch im Hinblick auf Berufsorientierung bei den Jugendlichen. Ich wünsche mir, dass das Bildungssystem multiple Wege aufzeigt und möglich macht. Informelles Lernen muss vermehrt gefördert werden. Ein Wechseln der Perspektive und ein Über-den-Tellerrand-Blicken ist für das Bildungssystem und für alle anderen Ziele wichtig. Wir sollten uns die Frage stellen: Was können wir alles erreichen, wenn wir aus dem bekannten Denkmuster ausbrechen?
Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel
Alle 17 SDGs (Anm. d. Red.: Sustainable Development Goals; die Vereinten Nationen [UN] definierten im Jahr 2015 insgesamt 17 globale Nachhaltigkeitsziele in der Agenda 2030) sind wichtig. Wir haben uns dazu entschieden, uns auf SDG 4 "Hochwertige Bildung" zu konzentrieren und aus diesem Ziel heraus alle weiteren zu energetisieren. Gute Ausbildung ist wichtig für kreative Problemlösungen, um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Aber natürlich hilft die beste Ausbildung nicht, wenn ich kein Brot in der Hand habe. Alle Ziele bedingen sich gegenseitig.
Frau Kleeberger, vielen Dank für das Interview. Möchten Sie noch etwas ergänzen?
Gerne und ja: Wir stehen gerade an einem kritischen Kipppunkt. Es liegt jetzt in unserer Hand, wir können den Unterschied machen. Das ist etwas, das mich motiviert. Es gibt so viel Energie bei den jungen Menschen, die etwas bewirken wollen. Das ist ein Grund, warum wir "GoodLab" ins Leben gerufen haben. Wir möchten helfen, diese positive Energie zu kanalisieren, Wissen zu sammeln und in Handlung zu bringen – damit wir gemeinsam Veränderung bewirken können.
Über Dr. Julia Kleeberger