"Nachhaltigkeit muss cool sein"
Kristina Wetzel | Die Leiterin des Agenda-Büros für nachhaltige Entwicklung Kristina Wetzel berichtet im Interview davon, wie mühsam es manchmal ist, das Thema Nachhaltigkeit in der Heidelberger Stadtverwaltung zu etablieren, warum sie dabei nicht ausschließlich an Dienstanweisungen glaubt – und warum Spaß, Kreativität und Leidenschaft bei der ganzen Sache so wichtig sind. Das hat sie auch von ihrem großen Vorbild in Sachen Nachhaltigkeit gelernt: Beate Weber-Schuerholz, ehemalige Oberbürgermeisterin von Heidelberg.
Frau Wetzel, Sie nennen Beate Weber-Schuerholz, von 1990 bis 2006 Oberbürgermeisterin der Stadt Heidelberg, als Vorbild. Wie haben Sie sich kennengelernt?
Als ich 1995 das erste Mal für die Stadt Heidelberg arbeitete, war Beate Weber, wie sie damals noch hieß, Oberbürgermeisterin (OB). Da ich direkt im OB-Referat war, hatte ich viel mit ihr zu tun. Ich sollte Holocaust-Überlebende betreuen, die zum 800-jährigen Stadtjubiläum eingeladen wurden. Das waren beruflich die aufregendsten zwei Wochen meines Lebens. Es war organisatorisch eine riesige Herausforderung, aber auch emotional und menschlich. Damals hat mich Beate Weber total fasziniert, weil sie so nah bei den Menschen war und sich wirklich für jede und jeden einzelnen interessiert hat. Sie hat sich zum Beispiel quasi jedes Gesicht gemerkt. So hat sie fast sämtliche Angestellten der Stadtverwaltung auf der Straße erkannt und gegrüßt – das waren mehr als 2.500! Diese zugewandte Kommunikation mit den Menschen auf Augenhöhe: Das habe ich von ihr gelernt.
War Beate Weber auch eine Inspiration in Sachen Nachhaltigkeit für Sie?
Auf jeden Fall! Sie hatte einen großen Anteil daran, dass ich angefangen habe, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Schon Anfang der 1990er-Jahre war ihr Nachhaltigkeit wichtig, als noch kaum jemand verstanden hat, was damit überhaupt gemeint ist! Auf ihr Betreiben wurde auch das Agenda-Büro als städtische Institutionen gegründet. Und zwar nicht, wie in vielen anderen Städten, in der Zivilgesellschaft, sondern angekoppelt an die Stadtverwaltung. Heute gibt es in vielen Kommunen Entwicklungspläne zur Nachhaltigkeit, aber damals war die Stadt Heidelberg Vorreiterin – und das lag hauptsächlich an Beate Weber. Begeistert hat mich, dass sie die Themen Nachhaltigkeit und Bildung – sie war ja von Haus aus Lehrerin – schon immer zusammengedacht hat. Es ging ihr immer darum, die Menschen zu befähigen, sich nachhaltig zu verhalten und zu leben.
"Bildung für nachhaltige Entwicklung ist ein Standortfaktor für Kommunen"
Über Kristina Wetzel:
Kristina Wetzel, 1968 in Heidelberg geboren, studierte Politik und Geschichte. Nach Stationen in Magdeburg und Berlin kehrte sie Anfang der 2000er-Jahre nach Heidelberg zurück und bekleidete in den folgenden Jahren verschiedene Positionen in der Stadtverwaltung. Seit 2016 leitet sie das Agenda-Büro beim Amt für Umweltschutz, Gewerbeaufsicht und Energie. Das Büro kümmert sich um Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), die Umsetzung der Agenda 2030 auf kommunaler Ebene, Umwelt- und Nachhaltigkeitsprojekte in Kitas, Schulen und Sportvereinen sowie das Nachhaltigkeitsmanagement innerhalb der Verwaltung.
Was genau machen Sie als Agenda-Büro?
Wir bilden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus und vernetzen viele Menschen, die sich mit Nachhaltigkeit und Bildung für nachhaltige Entwicklung beschäftigen. Vor allem organisieren wir Fortbildungen, zum Beispiel für die Azubis der Stadtverwaltung, Kolleginnen und Kollegen, Lehrerinnen und Lehrer. Wir vernetzen, initiieren, fördern und realisieren Projekte in Kooperation mit unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren.
Auf was für Herausforderungen stoßen Sie dabei?
Es gibt wenig Routine bei uns. Wir müssen uns immer wieder auf neue Menschen, Netzwerke, Themen und Projekte einstellen. Dabei hilft mir meine reichhaltige Erfahrung aus den anderen Positionen in der Stadtverwaltung und das große Netzwerk, das ich im Laufe der Jahre aufgebaut habe. Das ist wichtig, weil es für uns gar nicht so einfach ist, uns schon innerhalb unserer eigenen Behörde Gehör zu verschaffen. Aspekte wie globale Verantwortung oder nachhaltiger Konsum sind im Umweltamt eher Randthemen. Wir haben hier damit ein bisschen Exotenstatus. Wir verfolgen konsequent das Ziel, BNE und Nachhaltigkeit in der ganzen Stadtverwaltung zu verankern. Dabei haben wir aber noch einige Schritte zu gehen und müssen immer wieder Überzeugungsarbeit leisten. Diese Themen hochzuhalten und engagiert zu verfolgen, ist wirklich eine Herausforderung. Da ist das tolle Team, das ich habe, Gold wert. Wir sind alle intrinsisch motiviert und eine starke Truppe – ich bin stolz darauf, so ein gutes Team führen zu dürfen.
Wie setzen Sie selbst Nachhaltigkeit in Ihrem privaten Alltag um?
In meinem Job muss das, was man den Leuten über Nachhaltigkeit erzählt, auch authentisch sein. Entsprechend habe ich auch mein eigenes Verhalten schrittweise verändert: Wir haben seit Jahren kein Auto mehr, fahren lange Strecken immer mit dem Zug, kaufen kaum neue Kleidung, ernähren uns vegetarisch. Generell bin ich überzeugt davon, dass der Wandel nicht funktioniert, wenn wir in Deutschland in unserer fetten Komfortzone sitzen bleiben.
Was ist aktuell Ihr wichtigstes Vorhaben – und wie gehen Sie dieses an?
Wir würden als Verwaltung gerne bis 2030 klimaneutral werden. Ich denke, dass wir das durchaus schaffen können, wenn wir alle zusammen Gas geben. Unsere Erfahrung ist, dass man das weniger über Dienstanweisungen schafft, sondern eher die Herzen und Köpfe der Menschen erreichen muss. Schauen Sie: Es gibt seit fast 20 Jahren eine Dienstanweisung zu fairer Beschaffung – die meisten Kolleginnen und Kollegen wissen nicht mal, wo die abgelegt ist! Wir wollen die Menschen nicht von oben belehren, sondern mit ihnen ins Gespräch kommen zu Themen, die ihnen wichtig sind: Wo wollen sie hin? Wie wollen sie leben? Haben oder wünschen sie sich Kinder? Und da kommt man dann relativ schnell dazu, was jede und jeder einzelne für einen Beitrag leisten kann. Da muss man natürlich jede und jeden woanders abholen, denn die Menschen sind unterschiedlich.
Welches Potenzial hat Ihrer Meinung nach die Kampagne zur Bildung für nachhaltige Entwicklung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung?
Ich bin eine Verfechterin von guter Öffentlichkeitsarbeit zu dem Thema. Natürlich wird man diesem dabei nie gerecht, muss immer vereinfachen. Aber gerade jetzt mit den vielen Krisen ist ein guter Zeitpunkt, das Thema zu setzen, Zusammenhänge aufzuzeigen und die Menschen, die sich teilweise seit Jahrzehnten dafür einsetzen, sichtbar zu machen. Zu zeigen: Es gibt Lösungen und Bildung für nachhaltige Entwicklung ist ein Schlüssel dazu. Denn, auch wenn die Probleme manchmal übermächtig erscheinen, hat es keinen Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken. Das Thema steht ja mittlerweile in vielen Bildungsplänen drin, es bewegt sich was. Da ist eine solche Kampagne ein wichtiger Baustein.
Drei Dinge für die Zukunft
Mein Tipp für andere
Der Sinn von Bildung für nachhaltige Entwicklung ist es ja, dass wir den Menschen so viel an Kompetenzen, Wissen und Erfahrungen an die Hand geben, dass sie eigenständig bewusste Entscheidungen im Sinne eines nachhaltigeren Verhaltens treffen können. Allerdings muss es auch Spaß machen. In einem unserer Netzwerktreffen sagte Maren Urner den Satz: "Nachhaltigkeit muss die Party sein, auf die alle wollen." Das fand ich super! Es muss cool sein, da mitzumachen. Deshalb lachen wir auch viel im Team und auf unseren Veranstaltungen, weil wir davon überzeugt sind, dass wir die Menschen so viel besser erreichen und überzeugen.
Meine Vision für 2030 und 2050
Bei einer solchen Frage kann man schnell pathetisch werden und ich bin überhaupt kein pathetischer Mensch. Natürlich habe auch ich die Sehnsucht, dass wir später einmal in einer nachhaltigeren Welt leben. Aber statt große Visionen zu entwickeln, schaue ich lieber auf meinen eigenen kleinen Kontext: Da wünsche ich mir etwa für die Stadtverwaltung, dass wir als Menschen einfach besser, achtsamer miteinander umgehen; und dass wir gemeinsam daran arbeiten, unsere Perspektiven zu erweitern: Nicht nur schauen, dass in Heidelberg alles grün und nett ist, sondern uns auch fragen, wie sich unser Verhalten auf die Situation von anderen Menschen auf der Welt auswirkt – auf die Kaffeepflückerinnen und -pflücker etwa. Vielleicht muss es an Weihnachten ja nicht immer die billigste Schokolade sein? Mir ist wichtig, dass unsere globale Verantwortung mehr in den Fokus rückt.
Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel
Ich bin Politologin. Und wenn man sich als solche ein bisschen mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung beschäftigt, ist klar, dass die alle aufeinander aufbauen; dass das eine nicht ohne das andere zu denken ist. Deshalb habe ich auch keine Lieblinge – gerade für uns als Agenda-Büro sind alle gleichermaßen wichtig.
Über Kristina Wetzel