"Ich möchte weniger Spuren und mehr Eindrücke hinterlassen"
Prof. Dr. Matthias Barth | Der Präsident der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde und Gastprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg erklärt im Interview, warum hochwertige Bildung sein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel im Sinne der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ist. Außerdem erzählt er, wie außerordentlich er von seinem Kollegen Dzulkifli bin Abdul Razak, ehemaliger Präsident der Universiti Sains Malaysia, inspiriert wurde.
Was bedeutet Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) für Sie?
Bildung für nachhaltige Entwicklung bedeutet für mich in erster Linie Empowerment. Als Lehrender stehe ich vor der Aufgabe, Lernräume zu schaffen und Lernprozesse zu moderieren, in denen Lernende Möglichkeiten und Angebote finden, Kompetenzen für eine aktive Mitgestaltung einer nachhaltigen Zukunft zu entwickeln.
Gibt es jemanden, der Sie zu Ihrem Engagement für Bildung für nachhaltige Entwicklung inspiriert hat?
Ich hatte das Glück, auf meinem bisherigen Lebensweg auf eine Reihe von inspirierenden Menschen zu treffen. Es fällt mir schwer, hier eine Person herauszuheben. Wenn ich aus dieser Reihe eine Person nennen sollte, die meinen Blick auf die Rolle von Hochschulen geprägt hat, so ist das Dzulkifli bin Abdul Razak, der ehemalige Präsident der Universiti Sains Malaysia. Dzul, heute ein geschätzter Kollege und wichtige Ansprechperson für mich, hat als Präsident die Rolle einer auf Exzellenz in der Wissenschaft ausgerichteten Universität mit Beharrlichkeit und radikalem Anspruch auf die Frage ausgerichtet, welchen Beitrag sie für die nachhaltige Entwicklung in der Gesellschaft leistet. Der unerschütterliche Einsatz auf diese gesellschaftliche Wirkung hin hat mich immer tief beeindruckt und inspiriert.
Über Prof. Dr. Matthias Barth:
Prof. Dr. Matthias Barth ist Präsident der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde und Gastprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg. Von 2014 bis 2021 war er Professor für Sachunterricht und Bildung für nachhaltige Entwicklung an der Leuphana Universität Lüneburg, bei der auch Studiendekan war. Weitere Stationen waren das RMIT in Melbourne und die TH OWL in Höxter. Matthias Barth versteht sich als Architekt für Lernumgebungen. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Fragen des Erwerbs von Nachhaltigkeitskompetenzen in der Hochschullehre.
Heute sind Sie selbst durch Ihr Engagement eine Vorbildfigur. Wie fühlt sich das an?
Ich weiß gar nicht, ob ich mich so sehen kann und möchte. Was ich weiß, ist, dass die Idee weniger Spuren und mehr Eindrücke zu hinterlassen eine ist, der ich sehr viel abgewinnen kann. Und wenn das bedeutet, dass Studierende, Mitarbeitende oder Praxispartnerinnen und Praxispartner durch mich dazu ermutigt oder inspiriert wurden, sich selbst für eine nachhaltige und gerechte Zukunft einzusetzen, dann ist das das schönste Ergebnis, das ich durch mein Handeln erreichen kann.
Ist Netzwerken für nachhaltige Arbeit wichtig und wie gelingt es Ihrer Meinung nach?
Ja, der Austausch mit vielen möglichst unterschiedlichen Menschen ist sehr wichtig. Für zukunftsfähige Lösungen brauchen wir unterschiedliche Sichtweisen und Perspektiven, kritische Geister und ein gemeinsames Ringen um die besten Ideen. Das kann nur miteinander gelingen. In meiner Arbeit in der Wissenschaft darf ich immer wieder erleben, wie Projektteams aus unterschiedlichsten Disziplinen zusammen an Fragen einer nachhaltigen Entwicklung arbeiten und wie über Hochschulen hinweg Ideen und Aktivitäten gemeinsam entwickelt und Erfahrungen geteilt werden. Dies funktioniert schon sehr gut und verdeutlicht mir immer wieder den Mehrwert von Netzwerkarbeit, die, sind wir ehrlich, ja auch manchmal anstrengend sein kann.
Monitoring zu Bildung für nachhaltige Entwicklung im Hochschulsystem: Neue Ergebnisse zeigen Entwicklungen und ungenutzte Potentiale
Was sind Ihre nächsten Projekte oder worauf legen Sie in nächster Zeit Ihren Fokus?
Zwei Projekte beschäftigen mich zurzeit und beide leisten auf ihre Art einen Beitrag zur Frage, wie die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde ihre selbst gewählte Vision, als Pionierin der Nachhaltigkeitstransformation die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts mitzugestalten, noch besser einlösen kann.
Zum einen haben wir uns aufgemacht, unsere eigene Struktur daraufhin neu auszurichten, wie wir in Lehre, Forschung und Transfer bestmöglich einen Beitrag zur Erarbeitung und Implementierung von Nachhaltigkeitslösungen leisten können. Die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit, flache Hierarchien und partizipative Gestaltungsmöglichkeiten sind uns dabei besonders wichtig.
Zum anderen führen wir mit externen Förderinnen und Förderern sowie Praxispartnerinnen und Praxispartnern gleich zwei neue Studiengänge ein, in denen wir zukünftigen Change Agents einen Rahmen bieten wollen, Nachhaltigkeitskompetenzen in problemlöseorientierten, inter- und transdisziplinären und eng mit der Praxis verknüpften Lernräumen zu ermöglichen.
Wie setzen Sie in Ihrem Alltag Nachhaltigkeit um?
Im Alltag gilt das gleiche Prinzip wie auch in meinem Arbeitsleben: Die zentrale Frage ist, wie kann ich meinen ökologischen Fußabdruck minimieren und gleichzeitig meinen nachhaltigen Handabdruck, also die Wirkung, die mein Handeln erzielt, maximieren. Dies versuche ich, wenn nicht in allen dann in möglichst vielen Entscheidungen im Privatleben zu berücksichtigen. Sei es bei Konsum oder auch Nicht-Konsumfragen, in der Ernährung, der Mobilität oder im ehrenamtlichen Engagement. Und wie bei allen Menschen gelingt mir das manchmal besser und manchmal nicht so gut. Am Ende des Tages versuche ich aber auf den wunderbaren Musiker Frank Turner zu hören: "Be more kind" (Anm. d. Red.: Titel eines Liedes und auch Albums von Frank Turner; Titel auf Deutsch: Sei freundlicher).
Was ist Ihrer Meinung nach die Stärke oder das Potenzial der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten BNE-Kampagne?
Die Kampagne trägt, so hoffe ich sehr, dazu bei, die Anliegen und die Potentiale von BNE noch stärker in die Mitte der Gesellschaft zu tragen und möglichst viele Akteurinnen und Akteure aus allen Bildungsbereichen zum Mitmachen zu begeistern. Jede Stimme, jede Aktivität zählt hier!
Drei Dinge für die Zukunft
Mein Tipp für andere
Wir alle können unseren Beitrag leisten: Die kleinen Veränderungen sind es, die Großes erst ermöglicht haben. Insofern: Tut euch mit anderen zusammen und macht einfach! Möglichkeiten, sich einzubringen, gibt es genug.
Meine Vision für 2030 und 2050
Ich möchte gar nicht über 2050 nachdenken, denn ich glaube nicht, dass wir die Zeit haben (und ich habe sicher nicht die Geduld) über notwendige Veränderungen nachzudenken, die sich erst in 30 Jahren zeigen. Für 2030 wünsche ich mir eine Gesellschaft, in der BNE als Leitbild in allen Bildungsinstitutionen angekommen ist und gelebt wird – in einer Gesellschaft, die innerhalb der planetaren Grenzen zu leben gelernt hat und merkt, welch Gewinn ein solches Leben sein kann.
Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel
Nummer 4 "hochwertige Bildung" (Anm. d. Red.: 17 globale Nachhaltigkeitsziele wurden 2015 in der Agenda 2030 definiert) steht für mich an erster Stelle. Bildung kann zwar nicht die Versäumnisse an anderer Stelle heilen, aber ohne hochwertige und auf ein nachhaltiges Leben ausgerichtete Bildung werden wir die anderen Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen können.
Über Prof. Dr. Matthias Barth