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"Gute Bildung braucht strukturierte Vernetzung!"

Natalie Sadik | Die Schulentwicklungsplanerin des Landkreises Saarlouis Natalie Sadik spricht im Interview darüber, dass es bei Schulentwicklung auch um Kinderrechte geht und warum gerade die Partizipation von Kindern und Jugendlichen so wichtig ist. Zudem gibt sie Einblicke in unterschiedliche Projekte und erläutert, warum gerade das Engagement der jungen Menschen Ihre größte Inspirationsquelle ist.

Natalie Sadik hält ihre Hand wie zum Handabdruck in die Kamera, daneben ihr Zitat: "Junge Menschen sind oft noch unverfälschter in ihrer Wahrnehmung, was menschliche Grundbedürfnisse sind – und was wir tun müssen, um diese wertzuschätzen und zu fördern."
© Landkreis Saarlouis-Yannick Hoen

Frau Sadik, Sie sind hauptamtliche Schulentwicklungsplanerin und Bildungsmanagerin des Landkreises Saarlouis. Welcher Impuls oder Weg führte Sie zu Ihrer beruflichen Aufgabe?

Seit 2002 entwickle ich Beteiligungsprojekte, zum Beispiel im Rahmen von Stadtteilplanungen, wenn es z. B. um die öffentliche Freiraumplanung im Rahmen von Zukunftswerkstätten ging. Ab 2006 war ich als freie Mitarbeiterin in der Serviceagentur "Ganztägig lernen" beim Kultusministerium Saarland tätig, diese begleiteten Schulen und Kommunen beim Aufbau der Ganztagsschule. Partizipation als leitendes Prinzip hat bei all diesen Projekten eine große Rolle gespielt, denn man wollte bedarfs- und nutzerorientiert Planungen umsetzen, um Fehlinvestitionen zu vermeiden und die Bedarfszufriedenheit zu erhöhen. In dieser Zeit als freie Mitarbeiterin habe ich ganz viele Schulen im Landkreis Saarlouis begleitet und betreut, sodass die Landkreisverwaltung initiierte diese Stelle strukturell in der Verwaltung anzusiedeln. Zu dieser Zeit stellten sich dem Landkreis große Herausforderungen: Veränderungen der sozialen und beruflichen Realitäten von Eltern einerseits und die Einführung des G8-Gymnasiums machten den Ausbau von Ganztagsschulen erforderlich. Somit erstreckte sich der Schulalltag der Kinder und Jugendlichen häufig bis in den späten Nachmittag hinein. Es wird schwieriger, das wichtige Erfahrungs- und Bildungspotenzial außerschulischer Aktivitäten zu nutzen. Aus den Schulen sollten fortan Lern- und Lebensräume entstehen bzw. Bildungslandschaften werden, die an den Bedürfnissen und Interessen der Schülerinnen und Schüler orientiert sind und mit ihnen zusammen gestaltet werden. So kam es, dass ich 2010 fest zum Landkreis Saarlouis gewechselt bin und die Stelle als Schulentwicklungsplanerin angenommen habe.

Monitoring: Formale Bildung in Zeiten von Krisen – die Rolle von Nachhaltigkeit in Schule, Ausbildung & Hochschule (PDF, 922KB, Datei ist barrierefrei/barrierearm)

Soziales Engagement war auch in Ihrer früheren Tätigkeit in der Kinder- und Jugendarbeit ein wichtiger Kernpunkt. Was führte Sie zu der Entscheidung sozial tätig zu sein?

In meiner anfänglichen beruflichen Tätigkeit habe ich als Erzieherin in der Kinder- und Jugendarbeit gearbeitet. Zu helfen, Kinder stark zu machen, sie zu unterstützen und ihre Kompetenzen auszubilden, macht mir sehr viel Freude. Ich habe dann aber gemerkt, dass in der direkten Kinder- und Jugendarbeit auch bei allem Engagement der äußere Rahmen mitgehen muss. Wenn man möchte, dass Kinder bei Entscheidungen, z. B. auch bei politischen, mitwirken können, muss man sie im größeren Kontext miteinbeziehen etwa in der eigenen Kommune. Dies wurde mir auch durch ein persönliches Erlebnis bewusst: Zu der damaligen Zeit war mein ältester Sohn in einem der ersten G8-Gymnasien, bei denen von Halbtagsbetrieb auf Ganztagsschulbetrieb ausgeweitet wurde. Dies geschah damals, ohne dass die Bedarfe der Kinder und Jugendlichen ausreichend mitgedacht wurden, um den langen neuen Schulalltag auch gut bewältigen zu können. Da wurde mir klar, da geht es auch um Kinderrechte – und mir wurde bewusst, dass man da den Rahmen weiter setzen muss. Das war der Ansporn, warum ich mich entschied, mehr die Institutionen und Behörden dafür zu sensibilisieren, einen ganzheitlichen Ansatz in der Ausgestaltung der Schulen umzusetzen, denn Schulen und Verwaltungen können nur gemeinsam gute Rahmenbedingungen für gelingende Bildungs- und Lebensbiografien schaffen. Daher entschied ich, meinen Arbeitsspektrum zu erweitern und kam dann sehr schnell zu BNE, also Bildung für nachhaltige Entwicklung, das damals noch eine andere Bezeichnung hatte. Ich habe dann eine Ausbildung zur Referentin für BNE abgeschlossen und habe mich dann auf Partizipation, Schulentwicklung und BNE spezialisiert. Mir ist es wichtig, dass Kindern und Jugendlichen sowie den übrigen Betroffenen echte Mitbestimmung geboten wird – und dafür muss man in einem größeren Rahmen und mit den Institutionen rund herum arbeiten.

BNE-Forum Schule

BNE-Forum Kommunen

Natalie Sadik im blauen Blazer schaut lächelnd in die Kamera.

"Mir ist es wichtig, dass Kindern und Jugendlichen echte Mitbestimmung geboten wird – und dafür muss man in einem größeren Rahmen und mit den Institutionen rund herum arbeiten."

QuelleZitat Natalie Sadik © Bild: Landkreis Saarlouis-Yannick Hoen

Über Natalie Sadik:

Natalie Sadik ist seit 2010 hauptamtliche Schulentwicklungsplanerin des Landkreises Saarlouis und seit 2016 in doppelter Funktion als kommunale Bildungsmanagerin tätig. Der Landkreis widmet sich seit 2010 dem Programm "Gemeinsam Schule gestalten – Landkreis Saarlouis macht Schule". Kinder, Jugendliche und alle am Schulleben Beteiligten sind bei Bedarfsanalyse, Ideenfindung und Planung in unterschiedlichen Zukunftswerkstätten miteinbezogen: angefangen beispielsweise bei Schulumfeldgestaltungen, bei Neubaumaßnahmen, über die Qualität der Schulverpflegung bis hin zum BNE-Programm des Landkreises Saarlouis, aber auch in der Umsetzung von inklusiv-pädagogischen Projekten zur Erhöhung der Chancengerechtigkeit in der Bildung.

In Ihrer Funktion als Schulentwicklungsplanerin haben Sie schon viele Schulprojekte umgesetzt: von Schulumfeldgestaltungen über die Qualität der Schulverpflegung bis zum Klimaschutzprogramm. Bitte beschreiben Sie den Mehrwert, den Kinder und Jugendliche aus der Partizipation mitnehmen.

Eines meiner ersten Projekte war zum Beispiel die Neugestaltung eines Schulhofs einer Schule, die auf Ganztagsbetrieb umgestellt hatte. Die Planung wurde jedoch ohne die Einbeziehung der Nutzerinnen und Nutzer, also der Kinder und Jugendlichen entwickelt, sodass die eigentlichen Bedürfnisse und Interessen in die Umsetzung nicht einbezogen werden konnten. Da kam man mit der Bitte auf mich zu, dies anders zu gestalten und die Grundplanung zusammen mit den Nutzerinnen und Nutzern zu machen. Zusammen mit Schülerinnen und Schüler aus allen Klassenstufen (5-12) ist ein Konzept entstanden, dass die Bedürfnisse und Interessen aller Altersstufen berücksichtigt – angefangen von Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten für die jüngeren Schülerinnen und Schüler über Ruhe- und Entspannungszonen, einen Schulgarten, ausreichend Sportmöglichkeiten sowie einen großen Bereich für gemeinschaftliche Treffen und den sozialen Austausch. Das war der Ursprung dieser strukturellen Beteiligungsarbeit, wie der Landkreis Saarlouis sie heute macht. Alle 28 Schulen in Trägerschaft des Landkreises Saarlouis (Förderschulen, Gemeinschaftsschulen, Gymnasien, berufliche Schulen) werden seitdem systematisch in die Entwicklung und Gestaltung des Lern- und Lebensraumes Schule mit einbezogen. Neben der Vermeidung von Fehlplanung und Erhöhung von Zufriedenheit aller Beteiligten, auch der verantwortlichen Ämter, fördert die gemeinsame Projektplanung das soziale Leben innerhalb der Schule und stellt auch einen großen Beitrag zur Vandalismus-Prävention dar. Seit 2002 habe ich 69 Zukunftswerkstätten zur Freiraumplanung, Neubauarchitektur, Mensen und Bistros, Ganztagsräumlichkeiten, Schulgärten und Verkehrsplanungen unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen entwickelt, die auch alle so umgesetzt wurden. Im strukturierten Beteiligungsprozess arbeiten die Schulgemeinschaften mit den zuständigen Ämtern (z. B. Stabsstelle Schulentwicklung, Bauamt, Immobilienmanagement, Stabsstelle Kommunales Bildungsmanagement, Jugendamt und weitere Ämter) eng zusammen. Der Beteiligungsprozess wird über die Schulentwicklung koordiniert und begleitet.

Was nehmen Sie aus der Zukunftsarbeit mit Kindern und Jugendlichen mit?

Ich lerne ganz viel aus der Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen und bin von jeder gemeinsamen Projektarbeit sehr beeindruckt. Wenn man sie an der Gestaltung ihrer eigenen Lebenswelt beteiligt, dann sind sie die Expertinnen und Experten. Sie planen sehr realistisch, es kommen nie überzogene oder realitätsferne Vorstellungen.

Petrolfarbener Handabdruck auf gelbem Hintergrund.

"Junge Menschen sind oft noch unverfälschter in ihrer Wahrnehmung, was menschliche Grundbedürfnisse sind – und was wir tun müssen, um diese wertzuschätzen und zu fördern."

QuelleZitat Natalie Sadik © Bild: BMBF

Bitte erzählen Sie uns von dem Projekt "Zwei Schulen – eine Zukunft" – und warum Sie große Inspiration von den Kindern und Jugendlichen erfahren haben.

Bei dem Projekt "Zwei Schulen – Eine Zukunft" ging es um eine Gebäudesanierung: Zwei Gymnasien teilen sich ein historisches Gebäude, das über drei Etagen geht, hier mussten zum Beispiel auch die langen Flure saniert werden. Hier sprach ich mich dafür aus, dass wir bei der Innengestaltung eine Schülergruppen-Beteiligung anbieten, die auch befürwortet wurde. Zusammen mit einer Schülergruppe aus 40 Personen habe ich einen dreitägigen Workshop veranstaltet, bei dem die Kinder herausgearbeitet haben, dass sie gerne etwas mit Kunstgemälden machen möchten. Bei der Themensuche kristallisierte sich bald heraus, dass es um Zukunftsthemen gehen soll. Dann stellte ich die Frage: "Was brauchen wir junge Menschen – und auch alle anderen –, um in Zukunft gut leben zu können?" Darauf ging es in eine Diskussion, deren Ergebnis mich sehr beeindruckt hat. Die Kinder und Jugendlichen einigten sich auf drei Themen, die in den Bildern dargestellt werden sollen. Im Workshop wurden die Schülerinnen und Schüler auch von einer Künstlerin und dem verantwortlichen Architekten begleitet – ein Beispiel für die strukturierte Vernetzung in der Bildungsarbeit.

Das erste Thema war "Leben unter Wasser" mit der Erklärung, dass sie es ganz schrecklich finden, wie viel Plastikmüll in den Meeren landet und welche Auswirkungen Mikroplastik in den Meeren einerseits auf die Erderwärmung und anderseits auch auf unsere Sauerstoffversorgung hat. Da wünschen sie sich mehr Handlung, denn jeder dritte Atemzug käme sozusagen aus dem Meer. Außerdem fänden sie es ganz furchtbar, wie die reichen Leute arme Länder verschmutzen und deren Probleme dadurch verstärken. Als zweites Thema kam dann als Pendant "Leben am Land", hier gingen sie zum Beispiel auf die ungewöhnlich heißen Sommer in Deutschland ein, deren Hitze sich in den zubetonierten Städten so aufgestaut hatten, dass die Leute den Klimawandel bewusst wahrnahmen und darunter litten. Deshalb beschäftigt sie nachhaltige Stadtentwicklung und sie wünschen sich mehr Grünflächen, mehr Biodiversität, Schutz der Tier- und Pflanzenwelt. Als drittes Thema haben sie sich soziale Gerechtigkeit ausgesucht: Den Kindern und Jugendlichen ist es sehr wichtig, dass die Ziele "keine Armut", "kein Hunger", "hochwertige Bildung", "weniger Ungleichheiten" erreicht werden.

Dieses Projekt hat Kunst, Architektur, Demokratieförderung, Beteiligung und BNE miteinander verbunden. 15 großformatige Bilder über drei Etagen zeigen anschaulich, welche SDGs (Anm. d. Red.: Sustainable Development Goals; 17 globale Nachhaltigkeitsziele wurden 2015 von den Vereinten Nationen in der Agenda 2030 definiert) aus Sicht der Schülerinnen und Schüler für ein gutes Leben in der Zukunft unabdingbar sind. Das ist so herausragend, was die Kinder und Jugendliche da geschaffen haben, dass ich dieses Projekt als besondere Inspirationsquelle für mich herausheben möchte. Besonders beeindruckt hat mich zudem, wie sehr die Schülerinnen und Schüler über jedes SDG und deren Darstellung diskutiert haben, um eine ideale und sensible Darstellung zu gewährleisten. Aus diesem besonderen Projekt habe ich einmal mehr mitgenommen, dass wir Erwachsenen von den jungen Menschen insbesondere in Zukunftsfragen sehr viel mehr lernen können, denn ihr Blick darauf ist sehr differenziert und ganzheitlich. Sie hatten einen sehr klaren Fokus auf die gesamtglobale Entwicklung. Junge Menschen sind oft noch unverfälschter in ihrer Wahrnehmung, was menschliche Grundbedürfnisse sind – uns was wir tun müssen, um diese wertzuschätzen und zu fördern. Besonders gefallen hat mir, dass die Schülerinnen und Schüler sich auf Lösungen – also auf den positiven Blick in die Zukunft – konzentriert haben. Das hat mich sehr beeindruckt, vor allem im Vergleich auf die negative Schlagzeilenflut unserer Medien.

Auf dem Foto ist ein Bild zu sehen, auf dem zwei Hände auf blau-weiß-rotem Hintergrund abgebildet sind, die einander festhalten.
Von Schülerinnen und Schülern gestaltete Wand mit zwei verschiedenen Händen, die ineinandergreifen © privat, Natalie Sadik
Natalie Sadik im karamellfarbenen Blazer schaut lächelnd in die Kamera.

"Chancengleichheit und Inklusion sind so wichtig, jede und jeder soll an allen Bildungsangeboten ohne Hürden teilnehmen können."

QuelleZitat Natalie Sadik © Bild: Landkreis Saarlouis-Yannick Hoen

Was wünschen Sie sich für die Bildungsarbeit der Zukunft?

Ich wünsche mir, dass die Mitbestimmung derjenigen, denen Bildung zukommt, strukturell in der Bildungsarbeit verankert wird. Im Landkreis Saarlouis machen wir das so, aber das ist leider noch eher ungewöhnlich in Deutschland. Zudem wünsche ich mir mehr Vernetzung und Kooperation von Jugendlichen, Schulen und Schulträgern, nur dann kann Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler funktionieren. Bildungsarbeit der Zukunft sollte also nicht von punktuell handelnden Personen abhängig sein, der weite Blick sollte zur Pflichtaufgabe werden. Ebenso ist mir wichtig, dass in der Bildungsarbeit der Zukunft mehr soziale Gerechtigkeit stattfindet – dies betrifft zum Beispiel das Mittagessen in der Ganztagsschule, aber auch kulturelle Bildung. Meine Vision ist, dass wir die Bildungsteilhabe jeder und jedem zugänglich machen, unabhängig vom persönlichen Hintergrund. Ich wünsche mir, dass Menschen in angespannten Lebenslagen nicht erst umständlich Formulare ausfüllen müssen, sondern dass alle Kinder ohne bürokratische Hürden an allen Bildungsangeboten teilnehmen können, ohne dass es zu einer Stigmatisierung kommt. Zum Beispiel sind Querschnittsthemen über alle Schulen hinweg so wichtig, um diese Ziele zu erreichen. Bei der Präsentation des Kunstinstallationsprojekt "Konsum und Plastik" konnte niemand im Publikum sagen, wer aus einer Förderschule oder vom Gymnasium kommt – das ist unbezahlbar für das Selbstbewusstsein und die Selbstwahrnehmung von Lernenden einer Förderschule. Chancengleichheit und Inklusion sind so wichtig, jede und jeder soll an allen Bildungsangeboten ohne Hürden teilnehmen können. Das ist die große Zukunftsherausforderung im Bereich Bildungsarbeit.

Ist Netzwerken für Bildungsarbeit wichtig und wie gelingt es Ihrer Meinung nach?

Ja, ich bin ja auch Bildungsmanagerin in unserem kommunalen Bildungsmanagement. Dieses wurde eingeführt, weil wir gemerkt haben, eine alleinige Kooperation zwischen Schulträgern und Schulen ist nicht ausreichend. Zum Beispiel braucht es für Familien mit angespannten Situationen auch das Jugendamt und Sozialamt, die mitwirken müssen – oder eben auch andere Akteurinnen und Akteure. So haben wir ein ganzheitliches kommunales Bildungsamt aufgebaut. In unserem Modellprogramm BNE sind 19 Ämter, vier Dezernate, zwei Stabstellen, die Schulen und das Schülerforschungszentrum beteiligt, um die Themen gemeinsam zu entwickeln. Eine größere Zusammenarbeit ist dann wichtig, wenn es nicht nur um Baumaßnahmen, sondern etwa um Themen wie soziale Gerechtigkeit geht. Ebenso ist bei uns die Vernetzung mit dem Land, den Saarländischen BNE-Netzwerken, BiNaKom (Anm. d. Red.: BNE-Kompetenzzentrum für Prozessbegleitung und Prozessevaluation) und mit dem Rat für Nachhaltige Entwicklung sehr groß. Diese Vernetzung hilft uns sehr, wir bekommen Rat, Inspiration, Qualifizierung und Förderungen. Ohne Vernetzung und strukturierte Beteiligung gelingt keine gute Bildungsarbeit. Möchte man Bedingungen verbessern, muss man den Rahmen weiter setzen, indem die Strukturen und Systeme erweitert und alle miteingebunden werden.

Petrolfarbener Handabdruck auf gelbem Hintergrund.

"Man muss mit der bestmöglichen Version anfangen, auch wenn man dann nur 40 Prozent davon erreicht, hat man schon viel gewonnen."

QuelleZitat Natalie Sadik © Bild: BMBF

Gibt es spezielle neue soziale oder nachhaltige Projekte oder Vorhaben, die Sie in Planung haben?

Ja, ganz spannende sogar: Parallel zu dem Kunstprojekt habe ich zwei andere Projekte begonnen: eines zum Thema Nachhaltigkeit und das andere zur sozialen Gerechtigkeit. Beim Projekt "Mit Meisennistkästen gegen Eichenprozessionsspinner" forschen Kinder und Jugendliche, ob man gesundheitsschädliche Raupen anstatt mit Chemikalien nicht auch durch die Zucht von Meisen beseitigen kann. Bei dem Projekt "Mein cooler Pausensnack" geht es um gesunde Ernährung und wertschätzende Zubereitung und um Unterstützung von Familien in angespannten Lebenslagen.

Wie setzen Sie in Ihrem Alltag Nachhaltigkeit um?

Zuallererst verzichte ich bei allen Wegen, die man auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen kann, auf das Auto. Wenn ich privat verreise, dann wähle ich sehr häufig den Zug als Fortbewegungsmittel. Ich kaufe alle Lebensmittel regional ein, das geht hier im ländlich geprägten Raum zum Glück recht einfach. Bei Konsumartikeln, wie z. B. Kleidung oder Möbeln, achte ich auf die Produktionsbedingungen. Lieber spare ich etwas länger und kaufe mir dann etwas aus nachhaltiger Produktion. Allerdings ist mir bewusst, dass ein nachhaltiger Lebensstil für viele Menschen schwer zu bewerkstelligen ist. Hier kommt man wieder zum Thema "weniger Ungleichheiten", dem auch beim nachhaltigen Konsum eine große Rolle zukommt. Vielleicht würden viele andere auch gerne nachhaltiger konsumieren, wenn sie die finanziellen Möglichkeiten dazu hätten. Zusätzlich engagiere ich mich auch in vielen Gruppen, z. B. zu den Themen "Fairtrade" und "Chancengerechtigkeit“

Was ist Ihrer Meinung nach die Stärke oder das Potenzial der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kampagne Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)?

Ich finde diese Kampagne sehr wichtig, da der Begriff "BNE" für viele Menschen noch sehr abstrakt und unkonkret erscheint. Es gibt zwar viele Informationen über globale Nachhaltigkeitsziele, aber für viele wird nicht klar, wie man selbst Einfluss auf das Erreichen dieser Ziele haben kann. Allein durch das Beispiel mit der Schulverpflegung: Also, wenn wir als Verwaltung sagen, bei uns gibt es 10 Prozent Bio-Produkte, 2 Prozent Fairtrade-Produkte sowie regionale und saisonale Produkte, dann sind schon mal SDG 13 "Maßnahmen zum Klimaschutz", SDG 3 "Gesundheit und Wohlergehen", SDG 15 "Leben an Land" und nachhaltiger Konsum und Produktion abgedeckt. Mit den praktischen Beispielen, die diese Kampagne darstellt, wird sichtbar, jede und jeder hat mit seinen Entscheidungen Einfluss auf das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele. Es ist wichtig, dass der Begriff "BNE" nicht länger ein abstraktes Konstrukt ist und die Menschen nicht vom Wort "Bildung" abgeschreckt werden und nicht länger denken, das wäre nur für Schule oder Hochschule. Denn BNE betrifft uns alle und geht uns alle etwas an.

Drei Dinge für die Zukunft

Mein Tipp für andere

Also meine Tipps für andere, die sich in der Bildungsarbeit einsetzen möchten, lauten: Trefft euch mit den Menschen, mit denen ihr Bildungsarbeit umsetzen möchtet und die ihr beteiligen möchtet. Wichtig ist, dass es zu keiner zufälligen, sondern zu einer strukturierten Beteiligung kommt. Man überlegt, was ist seine Aufgabe und was gehört alles dazu, und dann organisiert man strukturierte Beteiligungsformen. Dazu gehört auch die Organisation der nötigen Mittel, damit die Umsetzung garantiert wird. Natürlich muss man auch alle Richtlinien im Blick haben: Was geht und was geht nicht. Man startet erst, wenn die Rahmenbedingungen geklärt sind und die nötigen Mittel vorhanden sind. Es geht nicht um die Planung von Luftschlössern, sondern darum, reelle Lebenswelten mit jungen Menschen zu planen. Denn dann fördert man mit den Projekten zivilgesellschaftliches Engagement, Demokratieverständnis und Motivation.

Meine Vision für 2030 und 2050

Auch wenn ich weiß, dass es ein Traumschloss ist: Meine beste Vision für 2030 wäre, dass alle Kinder und Jugendlichen sowie auch alle Erwachsenen, die sich weiterbilden möchten, unabhängig von ihrem Hintergrund, einen uneingeschränkten Zugriff auf Bildung haben – und damit meine ich Bildung im weiten Sinne. Zudem wünsche ich mir, dass es weniger Hunger und weniger Armut gibt und mehr für die Menschenwürde in der Arbeitswelt getan wird.

Für 2050 wäre die beste Vision, dass sich die Natur wieder erholt und regeneriert hätte. Mein großer Wunsch wäre eine zurückgewonnene Biodiversität und einen intakten und gesunden Planeten. Ich weiß, dass es sich hier eher um ein Wünschen als einen realistischen Blick handelt – dennoch man muss auch groß denken können, um große Dinge wahr machen zu können. Es hätte sich vor 15 Jahren im Landkreis bestimmt auch keiner gedacht, dass wir Schülerinnen und Schülern systematisch beteiligen und Grundlagenplanungen für große Baumaßnahmen (mit)-entwickeln lassen. Jeder pessimistische Mensch hätte damals gesagt, das wird es nie geben. Man muss mit der bestmöglichen Version anfangen, auch wenn man dann nur 40 Prozent davon erreicht, hat man schon viel gewonnen.

Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel

Mir ist SDG 10 "weniger Ungleichheiten" sehr wichtig und dazu gehören für mich auch SDG 4 "hochwertige Bildung", SDG 3 "Gesundheit und Wohlergehen", SDG 1 "keine Armut", SDG 2 "kein Hunger" und SDG 16 "Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen". Es darf nicht sein, dass etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Weltressourcen verbrauchen. Dass der kleine Teil gut lebt, während die meisten anderen Menschen total benachteiligt werden. Darüber hinaus ist natürlich auch SDG 13 "Maßnahmen zum Klimaschutz" ein zentrales Thema: Ich bin jetzt 55 Jahre alt und seit meiner Jugend wird davon gesprochen – aber passiert ist seitdem eher Industriewachstum als Naturschutz. Da frage ich mich: Was wollen wir denn für eine Welt den jungen Menschen hinterlassen? All diese SDGs sind zentrale Themen, mit denen ich mich sehr beschäftige.