Navigation und Service

"Was man als Kind lernt, behält man fürs Leben!"

Tatjana Franz | Die Green-Influencerin Tatjana Franz spricht Im Interview über die Unterschiede zwischen dem Leben in der Stadt und auf dem Land, warum ihre dortigen Erfahrungen zur Gründung ihres nachhaltigen Online-Jobs führten und warum ihr insbesondere die soziale Gerechtigkeit am Herzen liegt. Außerdem spricht sie über ihr großes Vorbild, die Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Marina Imsiecke.

Tatjana Franz in blauem Shirt vor einer Waldkulisse, daneben steht: "Marina war eine treibende Kraft, die mir gezeigt hat: Guck mal, da sind noch viele andere Menschen, die genauso ticken wie du, und mit denen man zusammen viel auf die Beine stellen kann.
© Franzi Schädel

Frau Franz, Sie sagen, dass Sie vor allem die Aktivistin Marina Imsiecke zu Ihrem nachhaltigen Einsatz inspiriert hat. Wie haben Sie sich kennengelernt?

Der Prozess zu einer nachhaltigeren Lebensweise hin hat im Geographie-Studium begonnen. Da habe ich gelernt, wie viel Plastik wir im Boden und auf den Feldern haben, wie stark unsere Luft verschmutzt ist und wie heftig die Lärmbelästigung in den Städten ist. Klar wurde mir auch: Ich selbst, jede und jeder einzelne von uns, trägt eine Mitschuld daran. Also wollte ich etwas tun. Ich habe klein angefangen, indem ich etwa beim Einkaufen darauf geachtet habe, weniger Verpackungsmüll zu produzieren. Dann kam der Wunsch, sich mit anderen darüber auszutauschen und noch aktiver zu werden – und so bin ich zur Greenpeace-Gruppe in Hannover gekommen. Marina war schon länger da und hat mich unter ihre Fittiche genommen. Wir waren häufiger zusammen auf Aktionen, haben Müll gesammelt oder Kleidertauschpartys organisiert. Es hat gutgetan, mit Gleichgesinnten zu diskutieren und zusammen aktiv zu werden. Da war Marina eine treibende Kraft, die mir gezeigt hat: Guck mal, da sind noch ganz viele andere Menschen, die genauso ticken wie du, und mit denen man zusammen ganz viel auf die Beine stellen kann.

Die Artenvielfalt unseres Planeten virtuell entdecken: neue Augmented-Reality-Anwendung von Greenpeace

Gibt es etwas, dass Sie an Marina besonders beeindruckt hat?

Vor allem habe ich ihre Offenheit, ihren Mut und ihre Motivation bewundert, auf Menschen zuzugehen und sie von einem nachhaltigeren Lebensstil zu überzeugen. Dabei habe ich sie immer wieder an den Greenpeace-Ständen in der Innenstadt beobachtet oder auch bei den großen Müllsammelaktionen. Da hat sie den Leuten klargemacht: Da sind wir alle für verantwortlich und haben alle ein Interesse daran, dass dieses Zeug nicht in der Landschaft landet – und am besten gar nicht erst produziert wird. Ich glaube, wir müssen viel mehr auf andere Menschen zugehen, sie auf die Probleme hinweisen, aber auch zeigen, wie wir diese gemeinsam lösen können. Das habe ich von Marina gelernt.

Über Tatjana Franz:

Tatjana Franz, 25, setzte sich während ihres Geographie-Studiums in Hannover viel mit Umwelt-themen auseinander. Vor drei Jahren zog sie aus der Stadt in ein sächsisches Dorf. Von dort aus gründete sie den Onlineshop "daheeme" (sächsisch für "zuhause") für regional und nachhaltig produzierte Haushaltswaren. Daneben betreibt sie die Website und den Instagram-Kanal "incapitalletters.de", Motto: "Hier wird UMWELTSCHUTZ großgeschrieben."

Ist Netzwerken für nachhaltige Arbeit wichtig und wie gelingt es Ihrer Meinung nach?

Netzwerken ist unglaublich wichtig. Es gibt ja, gerade in großen Städten, ganz viele Gruppen, denen man sich anschließen kann – sei es der NABU, Greenpeace, Fridays for Future oder andere. Man muss einfach nur gucken, wo die eigenen Interessen am besten aufgehoben sind. Es kann auch was Kleines sein, ein Lesekreis zum Beispiel, der sich mit Büchern zu Nachhaltigkeit beschäftigt, oder eine Nachhaltigkeits-, Koch- oder Garten-AG in der Schule. Warum nicht einfach einen Zettel ans Schwarze Brett hängen, dass man Interessierte für eine Müllsammelaktion sucht? Da kann man auch erstmal im Freundes- und Familienkreis fragen, um einen Anfang zu machen. Auf jeden Fall sorgt man nach außen hin für viel mehr Aufmerksamkeit, wenn man Dinge mit anderen zusammen macht als nur für sich alleine. Und vor allem macht es zusammen mit anderen einfach viel mehr Spaß.

Was hat Sie dazu bewogen, in ein sächsisches 4.000-Seelen-Dorf zu ziehen?

In Hannover habe ich in einer 60 Quadratmeter großen Zweizimmerwohnung mit einem Minibalkon gelebt. Im Zuge meines Studiums habe ich mich dann viel mit Stadtplanung beschäftigt und dabei gemerkt, wie grau meine Umgebung ist: In meiner ganzen Straße gab es einen einzigen Baum! Dazu die vielen Autos, die Hektik. Ich hatte einfach das Gefühl, mir würde es auf dem Land mit mehr Grün um mich herum besser gehen – und das hat sich bewahrheitet!

Tatjana Franz mit langen, glatten Haaren und blauem T-Shirt lächelt vor einem hellbraunen Hintergrund in die Kamera.

"Durch die langen Wege ist ein nachhaltiger Lebensstil auf dem Land oft schwieriger."

 

QuelleZitat Tatjana Franz © Bild: Franzi Schädel

Gibt es denn auch Dinge, die Sie aus der Stadt vermissen?

Definitiv. In der Stadt habe ich zum Beispiel alles mit dem Fahrrad gemacht: zum nächsten Supermarkt, Freunde besuchen und so weiter. Wenn das Wetter zu schlecht war, habe ich die Bahn genommen. Hier auf dem Land bin ich doch öfter aufs Auto angewiesen, als mir lieb ist – wegen der größeren Entfernungen und weil die Busverbindungen eine Katastrophe sind. Deshalb habe ich mir einen Fahrradanhänger gekauft, um wenigstens mal einen Großeinkauf ohne Auto machen zu können.

Wie kam es zu der Gründung Ihres Onlineshops "daheeme"?

Ich war in Hannover total gerne in Unverpackt-Läden einkaufen, davon gab es damals drei in der Stadt. Mir gefiel die Idee, zur Müllvermeidung beizutragen und gleichzeitig einen Ort zu haben, um Gleichgesinnte zu treffen. Außerdem habe ich einen Stammtisch organisiert für Leute, die sich auch für Nachhaltigkeitsthemen interessiert haben. Als ich aufs Land gezogen bin, ist das alles ein bisschen weggebrochen. Und ich merkte schnell: Wenn ich etwas Neues für den Haushalt einkaufen wollte, musste ich eigentlich immer in die Stadt fahren, nach Leipzig oder Dresden. Da fehlten auf dem Land einfach die Alternativen. Lebensmittel gehen ja, da gibt es zum Beispiel auch eine Bio-Kiste, die man liefern lassen kann. Aber eben nichts für größere Anschaffungen. So ist die Idee zum Online-Shop entstanden. Ich liebe außerdem Flohmärkte, weshalb ich eine kleine Second-Hand-Abteilung integriert habe. 

Exit Fast Fashion

Sie betreiben auch den Blog und Instagram-Kanal "incapitalletters.de" zu Nachhaltigkeits- und Umweltthemen. Was wünschen Sie sich, dass Ihre Leserinnen und Leser mitnehmen?

Wichtig für mich ist, dass es nicht die Nachhaltigkeit gibt. Ein nachhaltiger Lebensstil ist immer ein Prozess. Bei mir hat es zum Beispiel mit der Müllvermeidung angefangen und ich lerne jeden Tag etwas in Sachen Nachhaltigkeit dazu. Im Laufe der Zeit ist faire Mode dazugekommen und ich habe meine Ernährung umgestellt. Man braucht kleine Schritte, muss nicht sofort perfekt sein. Wir brauchen einfach Menschen, die etwas verändern wollen – auch im Kleinen. Das versuche ich auf meinen Kanälen zu vermitteln.

Tipps für nachhaltiges Gärtnern

Wie ist es für Sie, heute ebenfalls ein Vorbild für andere zu sein?

Das finde ich total schön. Vor allem auch, weil ich durch das Feedback und die Hinweise der Menschen selber noch so viel dazulerne. Zum Beispiel habe ich vor drei Jahren mit dem Gärtnern angefangen: Wenn ich dazu Dinge auf meinen Kanälen teile, bekomme ich ganz viele Tipps zurück, wie ich Dinge anders oder besser machen kann. Gemeinsam zu lernen und miteinander zu wachsen, ist total spannend – und macht irre viel Spaß.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Neben meinem Online-Shop würde ich gerne auch wieder was vor Ort auf die Beine stellen. Wenn mir mein Online-Shop wieder etwas mehr Zeit lässt, würde ich gerne Projekte anleiern, die die Menschen miteinander verknüpfen – Nachbarschaftsaktionen zum Beispiel oder Sharing-Modelle. Generell sollten wir alle viel mehr Dinge miteinander teilen, die wir selbst nur gelegentlich brauchen. Beispiel Rasenmäher: Den brauche ich alle ein bis zwei Wochen mal, meinem Nachbarn geht’s genauso – da brauchen wir doch nicht beide einen rumstehen haben.

Petrolfarbener Handabdruck auf gelbem Hintergrund.

"Generell sollten wir alle viel mehr Dinge teilen, die wir nur gelegentlich brauchen."

 

QuelleZitat Tatjana Franz © Bild: BMBF

Welches Potenzial hat für Sie die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kampagne zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)?

Beim Thema Nachhaltigkeit sind die Schulen ein ganz wichtiges Feld – und hier kann auch eine Kampagne für nachhaltige Entwicklung viel bewirken. Ich habe selbst schon Vorträge in Schulen gehalten, zum Beispiel zum Thema Müllvermeidung. Da war ich total begeistert, wie gut die Kinder mitgemacht, wie klug sie gefragt und wie viel sie schon verstanden haben. Es ist super wichtig, jungen Menschen so früh wie möglich für ihre eigene Umwelt zu sensibilisieren. Schließlich gehen die dann motiviert zu ihren Eltern und erzählen ihnen, was sie erfahren haben. Und was man in so frühen Jahren gelernt hat, behält man auch irgendwie fürs Leben, handelt danach und hinterfragt es nicht mehr ständig.

Drei Dinge für die Zukunft

Mein Tipp für andere

Wie gesagt: Kleine Schritte. Einfach mit irgendetwas anfangen. Der Rest entwickelt sich dann. Und was man tut, muss im eigenen Alltag auch umsetzbar sein. Es bringt nichts, wenn ich vier Wochen super vegetarisch oder vegan lebe und dann merke, dass das überhaupt nicht praktikabel ist – und dann alles über den Haufen schmeiße. Ich verzichte neben Fleisch zum Beispiel auf Eier und trinke keine Milch, stattdessen nehme ich Haferdrink. Aber ein gutes Stück Bio-Käse esse ich immer mal wieder. Mir persönlich war es außerdem wichtig, auch beruflich etwas zu machen, das mit Nachhaltigkeit zu tun hat.

Meine Vision für 2030 und 2050

2030 sind wir hoffentlich endlich alle aufgewacht und es gibt niemanden mehr, der den Klimawandel leugnet. Auch sollten sich Firmen dann ernsthafter für Umweltschutz einsetzen – und nicht nur, weil es eine coole Marketingaktion ist. Ich hoffe, dass wir im Jahr 2030 wirklich alle mitziehen, gerade die Wirtschaft. Natürlich sind auch wir alle als Privatpersonen gefragt. Aber ich will nicht auf jeden Strohhalm verzichten müssen, während es Firmen gibt, die das alles aus reiner Profitgier wieder zunichtemachen. 2050 werden voraussichtlich zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben: Für diese wünsche ich mir, dass sie bis dahin viel, viel grüner sind – mit viel mehr Bäumen, Fassadenbegrünungen, Solarpanelen auf jedem Flachdach. Und vielen kleinen, grünen Inseln, um das Hitzeproblem in den Griff zu bekommen. Außerdem brauchen wir viel weniger Autos und sollten die Fahrradwege weiter ausbauen. Und schließlich muss die Politik mit ihren Gesetzen Rahmenbedingungen schaffen, in denen sich umweltbewusstes Verhalten für die Firmen auch lohnt.

 Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel

Das Wichtigste ist für mich Ungleichheiten abzubauen. Die armen Länder leiden jetzt schon viel stärker unter den Folgen des Klimawandels als wir. Aber auch in unseren Städten oder auf dem Land sieht man, dass Lärm und Luftverschmutzung die Menschen sehr unterschiedlich treffen. Häufig wohnen auch die Menschen, die maßgeblich hierfür verantwortlich sind, gar nicht da, wo es am meisten Belastungen gibt. Solche Ungleichheiten müssen wir langfristig abbauen, damit es keine Menschen gibt, die mehr unter den negativen Folgen von Klimawandel oder Umweltverschmutzung leiden als andere.

Tatjana Franz mit langen, glatten Haaren und blauem T-Shirt steht vor einer verschwommenen Baumkulisse und lächelt in die Kamera.

"Das Wichtigste ist für mich Ungleichheiten abzubauen."

 

QuelleZitat Tatjana Franz © Bild: Franzi Schädel
 

Fragen an das Vorbild

Frau Imsiecke, wie fühlt es sich an, eine Inspiration für andere zu sein?

Etwas ungewöhnlich – da ich selber Tatjana Franz für eine Inspiration halte! Sie hat mich immer wieder dazu gebracht, mich mehr mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen und unermüdlich immer wieder Schritte zu machen, Dinge zu hinterfragen und zu verbessern. Dass sie mich als Inspiration ansieht, empfinde ich als großes Lob!

Wie kam es, dass Sie selbst so engagiert sind?

Mir war schon als Kind und Jugendliche bewusst, dass viele Dinge auf dieser Welt nicht fair sind und häufig nur einigen wenigen zugutekommen. Und zu denen gehören wir im wohlhabenden Deutschland praktisch alle dazu. Mein Engagement fing vor allem über die Umweltverschmutzung durch Plastikmüll an. Hier wollte ich etwas gegen unternehmen. Ich habe zuerst bei mir selber angefangen. Später habe ich mich dann bei Greenpeace und anderen Gruppen engagiert, zum Beispiel Aktionen mitorganisiert, um Upcycling anzuregen und Müll zu vermeiden – etwa die "Make something week" oder Kleidertauschpartys. Je mehr ich mich mit dem Effekt von uns Menschen auf die Umwelt und letztendlich unser eigenes Überleben beschäftigt habe, desto mehr Energie habe ich darauf verwendet, zu versuchen, etwas zu verändern. Ich habe dann zum Beispiel mit einer Arbeitsgruppe der Seebrücke einen kleinen Kongress zum Thema Fluchtursachen und den Anteil des Klimawandels an den Fluchtbewegungen, die wir heutzutage sehen, organisiert.

Welches Potenzial hat für Sie die vom BMBF geförderte BNE-Kampagne und welche Nachhaltigkeitsziele erachten Sie für besonders dringlich?

Ich finde, dass vor allem die Reduktion der Treibhausgase immens wichtig ist, damit wir nicht innerhalb der nächsten Jahre an einen irreversiblen Kipppunkt im Klima gelangen. Hier brauchen wir die Bildung, um bei allen ein Umdenken zu erreichen. Als Kampagne des BMBF kann dies mit viel mehr Nachdruck vorangetrieben werden, als wenn einzelne Gruppen oder Menschen versuchen, in ihrer Freizeit Bildungsarbeit zu leisten.

Mein Tipp für andere:

Anfangen. Es heißt nicht ohne Grund, dass der Anfang am schwersten ist. Vielleicht überlegen einige viel, welches der beste Weg wäre. Aber ich denke, es gibt genug Informationen und Anregungen da draußen, wie man auch kleine Dinge ändern kann. Es ist so viel hilfreicher und auch motivierend für einen selber, einen Schritt in die Richtung Lösung zu machen, als darüber nachzugrübeln, was dieser Schritt genau sein könnte.