"BNE ist der zentrale Schlüssel für eine zukunftsfähige Welt"
Prof. Dr. Kai Niebert | Als Mitglied des Rates für Nachhaltige Entwicklung berichtet er im Interview welche gesellschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten Bildung für nachhaltige Entwicklung bieten kann. Nachhaltigkeit versteht er als Versprechen für eine bessere Zukunft; Bildung für nachhaltige Entwicklung vermittelt hierbei konkrete Lösungsansätze sowohl für die individuelle Verantwortung als auch das gemeinsame politische Engagement.
Was bedeutet Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) für Sie?
Für mich verfolgt Bildung für Nachhaltigkeit das Ziel, Menschen mit den Kompetenzen auszustatten, als mündige Bürgerinnen und Bürger Wirtschaft, Staat und Gesellschaft gestalten zu können. Genau diese Schnittstelle ist eine Einladung, sich nicht in den Tiefen eines Systems zu verlieren, sondern die Schnittstellen zwischen verschiedenen Systemen beleuchten zu können.
Die Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung darf nicht individualisiert werden, sondern muss dahin gelegt werden, wo sie wirksam ist: In die Öffentlichkeit. Deshalb sind Anleitungen zur Mülltrennung oder Appelle, nicht mehr zu fliegen, wenig zielführend. Nicht individuelle Verhaltensänderungen, sondern die Frage, wie wir als Gesellschaft eine nachhaltige Zukunft gestalten können, sollten Kern der Bildung für Nachhaltigkeit sein. Bildung für Nachhaltigkeit sollte nicht das Ziel haben, den besseren Menschen zu formen, sondern die politische Teilhabefähigkeit der Lernenden zu stärken. Deshalb ist es so wichtig, Herausforderungen an der Verbindungsstelle zwischen Naturwissenschaft und Gesellschaft zu vermitteln und gesellschaftliche Debatten in den Unterricht zu integrieren.
BNE – Umgang mit Unsicherheit lernen
Über Kai Niebert
Kai Niebert ist deutscher Klimaforscher und Professor für Didaktik der Naturwissenschaften und Nachhaltigkeit an der Universität Zürich in der Schweiz. Als erster Hochschulabsolvent seiner Familie sind ihm Chancengleichheit und Gerechtigkeit wichtige Anliegen. Niebert studierte Biologie, Chemie und Politikwissenschaften und hat 2010 mit seiner Arbeit zum Thema Den Klimawandel verstehen promoviert. Seit Jahren engagiert er sich, Politik zu Nachhaltigkeitsfragen zu beraten, war Mitglied der Kohlekommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft. Seit 2015 ist er Präsident des Deutschen Naturschutzrings e.V., steht dem Kuratorium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt vor und wurde im Januar 2023 in den Rat für Nachhaltige Entwicklung berufen.
Gibt es jemanden, der Sie zu Ihrem Engagement für Bildung für nachhaltige Entwicklung inspiriert hat?
Gerade der Krieg in der Ukraine zeigt, dass sich Nachhaltigkeit nicht nur in eingesparten CO2 Moleküle messen lässt. Im Satz von Willy Brandt „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts“ ist für mich ein Leitbild der Nachhaltigkeit geworden. Wir müssen mit unserer Bildung dazu beitragen, Frieden, Institutionen und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Die Hauptursache für Kriege ist nicht-nachhaltiges Verhalten, von territorialem Anspruchsdenken bis zur Klimakrise. Und genau hier müssen wir uns entgegenstellen.
Heute sind Sie selbst durch Ihr Engagement eine Vorbildfigur. Wie fühlt sich das an?
So oft, wie ich in meinem Leben schon gescheitert bin, an meinen Versuchen, nachhaltig zu leben, bin ich sicher kein Vorbild. Ich habe es mir deshalb zum Ziel gesetzt, nicht mehr zu versuchen, Fehler zu vermeiden, sondern möglichst viel aus ihnen zu lernen. Wir werden auf dem Weg in die Nachhaltigkeit noch in viele Sackgasse geraten. Nicht die Sackgasse ist ein Fehler, sondern in ihr stecken zu bleiben. Genau das wünsche ich mir: eine andere Fehlerkultur, ein wohlwollenderer Umgang miteinander. Nur so werden wir den Weg, nicht nur in die Klimaneutralität, schaffen.
Ist Netzwerken für nachhaltige Arbeit wichtig und wie gelingt es Ihrer Meinung nach?
Netzwerke sind der Schlüssel für Nachhaltige Entwicklung. Unser Ratsprojekt, die Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien (RENN), zeigen das in beeindruckender Weise. Sie schaffen nicht nur Vernetzungsmöglichkeiten und Synergien in ihren jeweiligen Regionen, sondern sind auch Vernetzungspartner. Den RENN gelingt es als neutraler Makler, Zielkonflikte zu adressieren und verschiedene Stakeholder an einen Tisch zu bringen. Eine zentrale Rolle für gelungene Netzwerkarbeit spielt zudem strukturelle Kontinuität und eine voraussetzungsfreie Kommunikation, die es ermöglicht an Schnittstellen zu arbeiten und zu vermitteln.
Was sind Ihre nächsten Projekte – oder worauf legen Sie in nächster Zeit Ihren Fokus?
Als Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung ist es mir ein Anliegen, einen Mehrwert in der Nachhaltigkeitsdebatte zu generieren. Nachhaltigkeit darf nicht länger bedeuten, Katastrophen nur verhindern zu wollen. Wir möchten uns im Rat für ein Verbesserungsgebot einsetzen. Wir müssen den Anspruch haben, das Leben der Menschen und den Zustand der Natur zu verbessern: Nachhaltigkeit muss das Versprechen nach einem besseren Leben sein!
Klimaschutz: Warum wir eine intakte Natur brauchen
Wie setzen Sie in Ihrem Alltag Nachhaltigkeit um?
Ich habe mit meinen Studierenden einmal das Experiment unternommen, vier Wochen klimaneutral zu leben. Änderungen im Lebensalltag, wie auf Fleisch zu verzichten, waren für mich kein Problem, doch andere, wie beispielsweise die Entscheidung, wie die Wohnung beheizt wird oder eine längere Reise durchgeführt wird, waren eine Herausforderung. Dies hat gezeigt, dass Nachhaltigkeitsentscheidungen nur beschränkt in eigener Hand liegen und wir insgesamt nur rund für ein Drittel unserer CO2-Emissionen selbst verantwortlich sind und diese steuern können. Darum geht es bei BNE; nicht nur um Eigenverantwortung, sondern auch um politische Partizipation. Diese beiden Seiten zu beleuchten und Lösungsansätze zu finden, ist eine wesentliche Aufgabe in der Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Was ist Ihrer Meinung nach die Stärke oder das Potenzial der vom BMBF geförderten Kampagne BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung)?
Narrative und Vorbilder spielen in der Bildung für nachhaltige Entwicklung eine wesentliche Rolle. Sie prägen uns und ermutigen uns, selbst aktiv zu werden. Hier sehe ich ein großes Potenzial der BNE-Kampagne. Bildung für Nachhaltigkeit muss ein permanenter Perspektivwechsel sein. Es reicht nicht aus, viele Entwicklungen nur beschreiben zu können, sondern dadurch, dass ich mich in mein Gegenüber hineinversetze, muss ich auch verstehen können, wie es zu Fehlentwicklungen kam und wie wir Auswege aufzeigen können. Das ermöglicht die BNE-Kampagne mit den vorgestellten Testimonials.
Drei Dinge für die Zukunft:
Mein Tipp für andere
Verzweifeln Sie nicht, wenn Sie es mal wieder nicht geschafft haben, eine nachhaltige Entscheidung zu treffen. Oft sind es falsche politische Weichenstellungen – von der falschen Subvention bis zum falschen Anreiz –, die Nachhaltigkeit zum Anschwimmen gegen den Strom werden lassen. Fragen Sie sich also, wer das Problem lösen muss, damit Nachhaltigkeit Massensport werden kann: Sie selber oder der Kanzler. Und dann gehen Sie es an: politisch und privat.
Meine Vision für 2030 und 2050
Wir sind derzeit mit mehreren Krisen gleichzeitig konfrontiert. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass die Krisen der Gegenwart die notwendige Transformation in eine nachhaltige Zukunft bremsen. Wir müssen Nachhaltigkeit als Grundlage in politischen Entscheidungen und im Bildungsbereich verankern. Bildung für Nachhaltigkeit soll dazu befähigen, sich mit der Komplexität der Zielerreichung auseinanderzusetzen. Wir werden auf dem Weg zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele auf viele Dilemmata und auch Sackgassen stoßen. Deshalb erscheint es mir wichtig, offen mit unsicheren Situationen umzugehen und eine positive Fehlerkultur zu entwickeln.
Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel
Nachhaltige Entwicklung ist eine systemische Herausforderung, so dass die Erkenntnisse der Naturwissenschaften immer auch in die gesellschaftliche Diskussion eingebracht werden sollten und vice versa. Deshalb halte ich es für notwendig, die Nachhaltigkeitsziele ganzheitlich und nicht isoliert voneinander zu betrachten. In diesem Zusammenhang kommen Netzwerken, Partnerschaften und das Verhandeln von Interessensausgleichen eine Schlüsselrolle zu, um die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung zu erreichen.
Über Kai Niebert
Rat für Nachhaltige Entwicklung
Geschäftsstelle c/o GIZ
Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin
Internet: www.nachhaltigkeitsrat.de
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